Mimikry
können, die wurden nun länger, doch Ina Henkel hörte den eigenen Atem noch immer wie ein asthmatisches Pfeifen, das sie mit alten Frauen verband. Alte Frauen, die drei Schritte machten und dann stehenblieben, um sich an die Brust zu greifen oder sich ein Herz zu fassen, bevor sie weiterschlichen; ihre Oma hatte das gemacht, als sie schon sehr alt und klapprig war. Doch sie war friedlich gestorben, ein schlafendes Gesicht, kein richtig totes. Sie hatte erzählt, man würde im Himmel wieder zueinanderfinden, hatte man sich auf Erden geliebt.
Das ganze Bad verschwamm im Dunst. Wasserdampf hatte sich auf alles gelegt, schwebte im Raum und ließ die Wände tropfen. Sie wußte nicht, wie oft sie eigentlich geduscht hatte, sie hatte immer wieder von vorn anfangen müssen. Sie würde sich mit Sagrotan einreiben, hätte sie nicht zuviel Angst um ihre Haut.
Monotones Tropfen kam aus der Dusche, Klick und Klack, wie das Tick und Tack in der Wohnung dieses Mannes, seine Uhr, die immer weitergegangen war, sekundengenau immer weiter, tick-tack, klick-klack. Sie riß das Badetuch vom Körper und wickelte es um die Brause. Wie blind tastete sie nach einem Flakon, das ganze Regal war vom Dampf beschlagen, glitschig und glänzend alle Düfte. Sie schüttete etwas in die Handfläche und verrieb es, wo sie es sonst nie verrieb, auf den Brustkorb, auf die Schultern, eigentlich überallhin. Draußen bellte ein Hund.
Zähe Tropfen auf dem Spiegel, doch er kühlte, als sie die Stirn dagegen drückte. Jetzt hatte ihr Atem den Nebel noch verstärkt; wenn man nicht wußte, ob jemand schon tot war, hielt man einen Spiegel vor seinen Mund. Sie ging einen Schritt zurück und malte mit dem Finger ein Kreuz in den Dampf. Sie schrieb Tommy und Mark und Oma und Mama. Draußen fing der Hund jetzt an zu winseln, ein kleiner Köter mußte es sein, draußen im Regen.
23
Nur im Erdgeschoß und unterm Dach brannte Licht, dazwischen war alles dunkel, auch im zweiten Stock, wo die Henkel wohnte. Nur ein Eckfenster war erhellt, das sah sie, als sie um das Haus herumging, es war kleiner als die anderen Fenster, die Küche wohl oder das Bad. Biggi ging zu ihrem Wagen zurück. Sie hörte einen Hund kläffen, den sie nicht sah, dann gab es ein komisches Geräusch, als die Scheibenwischer ansprangen, ein Surren. Sie wartete. Es könnte sein, daß noch etwas geschah, es gab ein Tag- und Nachtleben für diese Leute.
Im zweiten Stock des gegenüberliegenden Hauses war ein Schatten zu sehen, eine Bewegung hinter der Gardine. Biggi legte eine Hand über die Augen: ja, diese Frau wieder, der Schatten der Frau am Fenster, sie stand einfach da. Wartete wohl ab, bis es Zeit war, zu Bett zu gehen. Hörte vielleicht nur die Uhr ticken, irgendwo im Zimmer, wo sonst niemand war. Eine Uhr, die gar nicht ticken konnte, die man nur hörte, weil man sonst nichts hörte. Biggi preßte die Lippen aufeinander; nicht hinsehen, nicht dahin, nicht zu ihr. Ein armes Gespenst in der Nacht. Doch gegenüber bei der Henkel tat sich nichts. Erst nach einer Stunde sah sie in einem der Zimmer Licht.
Als die Haustür wieder aufging, rutschte sie auf ihrem Sitz nach vorn. Die Henkel kam mit einer Tüte heraus, die sie in die Tonne hinter dem Haus warf. Sie trug jetzt alte Jeans, soweit man das sehen konnte, und ein ausgeleiertes Sweatshirt, in dem sie fast ersoff. Ihr Haar schien feucht zu sein. Halb eins in der Nacht war eine merkwürdige Zeit, seinen Müll wegzubringen. Sicher erwartete sie noch jemanden, warum nicht, es gab ein Leben am Tag und eins in der Nacht. Sie ging zur Haustür zurück, ohne sich umzusehen. Biggi hatte sich vorgestellt, daß Polizisten notorisch um sich guckten, berufsbedingt auf der Lauer lagen, aber so war es ja nicht. Oben brannte jetzt Licht in einem der Zimmer, als sie ans Fenster trat.
Sah sie zu ihr herunter? Das konnte nicht sein, Biggi hatte kein Licht im Wagen. Gegenüber gab es auch nichts zu sehen, da war es jetzt dunkel, die andere Frau war verschwunden. Die Henkel stand am offenen Fenster und sah nirgendwohin. Eigentlich war es viel zu kalt dafür.
Wenn Biggi jetzt wegfuhr, wäre das aufgefallen. Dann sah sie von da oben einen Wagen starten, in den niemand vorher eingestiegen war. Daraus konnte sie Schlüsse ziehen. Andere vielleicht nicht, sie schon. Biggi sah hoch, wurde müde. Spätestens um neun Uhr morgens mußte sie an ihrem Schreibtisch sein, das erwartete man von ihr, sie kam niemals zu spät. Die Henkel hatte wohl keinen im Genick, der
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