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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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auf.
    Als sie die Vorhänge zurückschob, sah sie unten ein Pärchen, aufdringliche Leute. Sie knutschten herum, daß jeder es sehen mußte. Sie zog die Vorhänge wieder zu. Vielleicht war das Leben da unten, und hier oben, in der Wohnung, war es nicht.
    Nicht richtig jedenfalls, doch es würde kommen. Es war ja schon fast da. Sie lernte.
    Es war nicht so wie bei Julia, die lebenslang gewartet hatte; Julia hatte es nicht geschafft. Manche waren so, lebten ein paar Jahre lang und keinem fiel es auf. Dann starben sie, und niemand nahm es wahr.
    Irgendwann hatte Biggi ihre Uhr gehört oder geglaubt, sie zu hören, ihre Armbanduhr, wie sie tickte. Fast daß man sie wirklich ticken hörte, obwohl sie das gar nicht konnte. Es war nicht die Uhr, es war ein Ticken im Kopf. Sie hatte den neuen Rock angezogen und eine Weile vor dem Spiegel gestanden, bevor sie die Autoschlüssel nahm.
    Sie fuhr nicht gern im Dunkeln, aber diesmal war es nicht so schlimm. Eigentlich war es auch nicht anders, als am Tag zu fahren, noch nicht einmal der Regen störte. Sie befühlte den Rocksaum, das war ein schöner Stoff, sie trug nur die falsche Strumpfhose, viel zu hell. Dunkle Strümpfe müßten es sein. Das neue schwarze T-Shirt paßte ja dazu. An neue Sachen mußte man sich gewöhnen, so schnell ging das nicht, und meistens trug man dasselbe Zeug ja immer wieder, trug es jahrelang und kriegte kaum mit, daß man es nicht mehr tragen sollte. Sah man andere grinsen, hatte man es begriffen.
    »Du sagst man « , hatte Gabriel in der Sendung zu Julia gesagt. »Du meinst aber: ich. Sag ich. «Er hatte ein paar Lieblingsfloskeln, die streute er aus, wann immer sich die Gelegenheit bot.
    Sie erreichte die Hochhäuser nach zwanzig Minuten. Planlos ragten die Türme in die Gegend, hier war die Stadt zu Ende. Ein paar gezirkelte Grünflächen vor den Eingängen, sonst nichts, nur das Licht. Einer der Türme sah anders aus, heller. Flackerndes Licht bündelte sich an der Hauswand und schlug Funken, blaues Licht, das sich in die Augen bohrte wie ein Speer. Zwei Streifenwagen standen vor dem Haus, daneben ein Kastenwagen mit blinden Fenstern, der Todeswagen. Biggi umklammerte das Steuer, fuhr langsam wieder an, und dann war es doch wie ein Schock, als sie den Wagen sah. Vor ihr, ein Stück vom Haus entfernt, stand der weiße Astra.
    Er war ein wenig nachlässig geparkt, man hätte auffahren können. Sie sah sich um; niemand hier auf diesem Weg. Wer draußen war, glotzte zum Haus, zu dem zuckenden Licht, das es erhellte. Sie stieg aus und sah in den Astra hinein, Zeitschriften lagen auf der Rückbank, Allegra, Vogue und marie claire. Noch eine Bildzeitung daneben. Sie ging zu ihrem Fiat zurück und wartete. Im Rückspiegel sah sie das flackernde Licht, irgendwann ging es aus.
    Warten war sie gewohnt. Manchmal saß sie an ihrem Schreibtisch und wartete, daß Gabriel ihr etwas zum Korrekturlesen gab, er konnte keine Kommas setzen. Sie hatte schon bis abends um neun gewartet, weil er das so wollte. Warten ging leichter, wenn man an nichts dachte. Als die Kripoleute dann über die Straße kamen, wußte sie nicht, wieviel Zeit eigentlich vergangen war.
    Stocker hatte die Hände in den Hosentaschen. Die Henkel hielt den Kopf gesenkt und stieß sich ständig den Autoschlüssel gegen die Nase, das sah komisch aus, fast so, als wollte sie sich einen Schmerz zufügen, um einen anderen nicht zu spüren. Beim Zahnarzt machte man das, drückte die Fingernägel in die Handflächen, wenn er bohrte. Sie redeten nicht miteinander.
    Sie fuhren normales Tempo, Biggi konnte mithalten. Was sie da tat, hätte sie sich vor einem Monat oder so noch gar nicht träumen lassen, es ging aber, wenn man bloß wollte, es gelang. Doch dann geriet der Astra plötzlich ins Schlingern, rutschte über die leere Straße, und es sah aus, als würden sie jetzt all das tun, was solche Leute wohl taten, herausspringen, auf sie zukommen, mit gezogenen Waffen vielleicht, sie hatten Macht. Biggi fuhr vorbei und hielt an der nächsten Ecke, wo sie wartete, ohne sagen zu können, auf was. Eine Ewigkeit stand der Astra am Straßenrand, und als er dann ruckartig wieder anfuhr, war es, als sei gar nichts gewesen. Biggi sah die Rücklichter des weißen Wagens, bis die Henkel vor ihrer Wohnung hielt.

22
    Sie hatte die ganze Zeit nicht richtig atmen können, erst jetzt, komischerweise in diesem Nebel um sie herum, ließ die Blockade in der Brust ein wenig nach. Nur ganz kleine Atemzüge hatte sie machen

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