Mimikry
Becken. Das Klo war extra. Wohn- und Schlafzimmer am Ende des Flurs, große Räume, die man ein bißchen aufpeppen könnte. Im Wohnzimmer verschwand ein schöner Parkettboden halb unter Teppichen, und man stieß gegen schwere Nußbaummöbel, die den Raum viel kleiner machten. Ein bißchen altmodisch sah es aus, nicht so wie drüben auf der anderen Straßenseite, nicht so lässig und modern. Im Schlafzimmer ein schmales Bett, ein hoher Schrank und ein Kleiderständer, an dem nur ein Morgenmantel und leere Bügel hingen. Eine Stehlampe und ein Nachttisch mit Taschenbüchern, Hustenbonbons und Beruhigungstropfen. Bei der Henkel drüben sah das Schlafzimmer wie ein normaler Wohnraum aus, es war auch einer, sie hielt sich häufig darin auf. Biggi nahm das Fernglas.
Sie saß vor dem kleinen Schreibtisch, hatte die Beine auf den Tisch gelegt und blätterte in irgendwelchen Akten. Biggi lächelte. Vielleicht waren es die roten und blauen, die sie ihr selbst gegeben hatte, die gesammelten Spinner, all die armen Schweine, die Gabriel schrieben, daß sie reden wollten.
Sie saß ganz ruhig da. Ab und zu legte sie den Kopf in den Nacken, ließ einen Arm herunterhängen, dann las sie weiter. Die schwarzweiße Katze lief herum.
»Die da drüben hat es besser gelöst.« Biggi trat vom Fenster zurück und drehte sich zur Tür. »Hellere Möbel, auch nicht so viele. Es wirkt – moderner.« Nein, man sagte nicht modern, niemand sagte das mehr. Es war einfach anders da drüben, lebendiger. Sie versuchte etwas lauter zu reden, doch es blieb nur ein Flüstern, als sie sagte: »Eine Kollegin, eine – Freundin. Drüben.«
Aus dem Flur fiel ein Streifen Licht ins Zimmer und Biggi machte einen Schritt darauf zu. Wie eine erleuchtete Fußmatte sah es aus. Sie schlug die Tür zu und wartete, doch es kam kein Geräusch. Drüben bei der Henkel war es sicher nicht so still. Vielleicht lachte da jemand, ertönte Musik. In diesem Zimmer hier tickte nur die Uhr, diese altmodische Uhr auf der altmodischen Kommode.
Oder diese Möbel waren antik, wer kannte schon die Grenzen zwischen altmodisch und antik. Am Preis würde man es sehen. Bei der Henkel stand nichts Dunkles herum, viel Weiß und Buche, soweit man das sehen konnte, ein paar Möbel auf Rollen. Biggi hatte zu Hause Ikea-Möbel, die damals geliefert worden waren, was sie auch dumm fand, weil eigentlich jeder Leute kannte, die einen Lieferwagen besorgen und helfen konnten. Eine Weile stand sie noch und lauschte, dann packte sie ihre Tüte aus.
Schöne Sachen. Weibliche Sachen, kein sackartiges Zeug. Sie nahm den fremden Morgenmantel vom Kleiderständer und hängte das neue sandfarbene Kostüm da hin, dann sprühte sie ein wenig Fahrenheit in die Luft und auf ihren Hals; es roch an jedem anders. Möglich, daß man auch zu jedem Kleidungsstück einen anderen Duft trug, wie die Henkel es anscheinend machte, Fahrenheit zu einem sandfarbenen Kostüm. Bevor sie es anzog, strich sie noch eine Weile über den Stoff; die Jacke war nicht ganz so lang und der Rock nicht ganz so eng, doch dachte man sich die Schuhe weg, sah es fast genauso aus. Ihre Mutter sagte immer: »Biggi, mach was aus dir, es gibt so schicke Klamotten.« Ja, die gab es. Aber sie hatte sich geniert da drin. Sie hatte geglaubt, sie könnte das nicht tragen, doch sie konnte es, sie sah sich im Spiegel.
Sie schloß die Augen. Nichts mehr, keine Erinnerung und kein Geräusch, dieses Geräusch, das Leute machten, wenn sie trampelten, weil sie so taten, als würden sie hinken. Nur die Uhr, die tickte, hatte die Fensterguckerin sich daran gewöhnt? Es hieß ja, daß man sich mit der Zeit an alles gewöhnte, an Geräusche und an Gefühle und an fremde Gerüche.
Die Fensterguckerin schien sich wirklich an alles gewöhnt zu haben, was aber nur bedeutete: sie nahm alles hin. Harmlos ihre Fragen, freundlich und beflissen, ob Biggi Bananen möge oder ein Täßchen Kaffee, frisch aufgebrüht, ein guter wäre da, für Gelegenheiten. Sie hatte nicht »für besondere Gelegenheiten« gesagt, nur »für Gelegenheiten.« Tausendmal hatte sie sich bedankt, als Biggi ihr die Tüten vom Supermarkt nach Hause trug, ein aufgeregtes Vögelchen, das um sie herumflatterte, geht es denn? Ist es nicht zu schwer? Sie konnte gar nicht aufhören, sich zu freuen, aber es war doch normal, oder nicht?, wenn man jemandem half, sein schweres Zeug zu tragen. Schon im Supermarkt hatte sie so viel geschwatzt, daß sie gar nicht mehr mitbekam, wie voll sie ihren
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