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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Wagen packte mit haltbarem Zeug. Biggi hatte darauf geachtet, immer neben ihr zu gehen, nicht vor ihr her. War jemand hinter ihr oder hörte sie bloß Schritte, wartete sie auf das Kichern. Dieses unterdrückte Kichern. Seit der Schule hatte sie es nicht mehr gehört, doch sie wartete immer darauf.
    Hier in der Wohnung hatte sie weitergemacht mit dem Danken. Sie war ein bißchen verlegen gewesen, als sie verstohlen herumguckte, ob alles sauber war; das war es eigentlich nicht. Sie sagte, das sei ihr kleines Reich. Fast war sie erschrocken, Biggis Stimme zu hören, hier in der Wohnung, eine neue Stimme zwischen den alten Wänden; sie hieß Theresa Jung und fügte sich in ihre lautlosen Tage.
    »Ist der Polizeiberuf gefährlich?« fragte sie. »Dauernd liest man schlimme Sachen.«
    Biggi hatte genickt und gesagt, daß man Stärke brauche, Kraft.
    »Oh ja«, sagte Theresa Jung. »Das glaube ich gern.«
    Dauernd war sie hin und her gerannt, die zweite Tasse! Normalerweise brauchte sie ja nur eine, Sahne oder Milch? Plätzchen zum Kaffee, ein paar Kekse waren noch da, war das recht? Nougatkekse, sie aß sie selber so gern. So ruhig, wie sie am Fenster stehen konnte, so hektisch flatterte sie nachher herum. Polizisten, sagte sie, seien ja ganz anders, als man sich die vorstellte, anders als im Krimi und überhaupt.
    Erneut kniete Biggi sich auf den Stuhl vor dem Fenster und nahm das Fernglas. Aus dem Dunkel guckte sie ins Licht, drüben brannten alle Lampen. Jetzt hatte sie die Katze im Arm, saß noch immer am Schreibtisch. Nur so, mit der Katze, ohne etwas zu tun und allein.
    Es sah merkwürdig aus. Merkwürdig vertraut. Man hockte herum und starrte irgendwelche Löcher in die Luft.
    Das sandfarbene Kostüm trug sie nicht mehr, Jeans jetzt und ein T-Shirt. Es passierte nichts weiter. Sie könnte noch ausgehen und man könnte ihr folgen. Heraus in die Nacht, in eine Bar, hin zum Lachen und zum Licht. Doch sie saß bloß da mit dieser Katze und kraulte ihr die Ohren, das war alles, das war nichts.
    Jetzt sah es sogar aus, als redete sie mit dem Vieh. Julia hatte das auch gemacht, mit diesem gefräßigen, faulen Abraham gequasselt, der dieser Katze ähnelte.
    Sie guckte nicht zum Fenster, sie guckte nie herüber. Theresa Jung, die Fensterguckerin, hatte gesagt, daß sie nur ein bißchen spazieren gucke, wenn sie am Fenster stand. Sie erzählte so viel. Als sie einmal mit dem Schwatzen begonnen hatte, konnte sie kaum mehr aufhören. Sie war arglos. Biggis Polizeiausweis hatte sie sehen wollen, eher aus Neugier, und als Biggi ihr den Behindertenausweis zeigte, war es gut gewesen. Ein Foto auf einem Ausweis, mehr brauchte es nicht.
    Die Henkel saß immer noch da. Eine Hand hielt sie jetzt so, daß sie ihr halbes Gesicht verdeckte, das meinten die Leute vielleicht, wenn sie sagten, daß jemand sein Gesicht in den Händen vergrabe. Es schien jetzt viel dunkler im Zimmer, als kämen düstere Schatten herein. Irgendwann sprang sie auf und zog die Jalousie herunter.
    Biggi legte das Fernglas auf die Fensterbank. Es war kalt mit einem Mal. Sie ging im Zimmer herum, zur Tür und zurück, etwas tänzelnd, keine zu großen Schritte. Noch mal von vorn. Das mochte an den Schuhen liegen, daß es bei der Henkel aussah, als schwebe sie über dem Boden, hin und zurück, hin und zurück, das mußte sie üben. Sie blieb stehen, sah die herunterzogene Jalousie auf der anderen Seite und klopfte mit zwei Fingern aufs Fensterbrett, es brauchte Zeit. Das neue Kostüm an ihr, jetzt war es wieder fremd, alles brauchte Zeit. Doch irgendwie hatte die Henkel ihr den Abend verdorben, und sie wußte nicht, warum.
    Sie mußte ohnehin nach Hause, in ihr blödes Loch, sie konnte hier nicht übernachten, wegen dem Bad. Es gab noch keine Lösung mit dem Bad. Es war so schön, hierherzukommen, und dann mußte man wieder weg.
    Sie sagte leise: »Tschüs« und horchte.
    »Ich bin fertig«, sagte sie. »Bis morgen.«

36
    Sternschnuppen brachten vielleicht Glück. Als sie die Jalousie herunterließ, bildeten die Lichter draußen tanzende Tupfen zwischen den Lamellen. Ina Henkel sah ihnen eine Weile zu, kleine Sterne, heimatlos vom Himmel gefallen. Man könnte sich etwas wünschen.
    Sternschnuppen sah sie nie in der Stadt. Auf dem Land hatte sie welche gesehen, vor Jahren in einer Herbstnacht. Zu viert waren sie unterwegs, zwei Pärchen mit Rucksäcken und doch schwerelos, Hand in Hand auf einem Feldweg ohne Beleuchtung. Über ihnen die Sterne, und als sie den Kopf

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