Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
Argumente vorbringen. Ich muß Ihnen sagen: So, wie die Sache aussieht, werden die Geschworenen Sie für schuldig befinden.« Er saß völlig reglos da und betrachtete sich diese neuartige Vorstellung von allen Seiten. Mrs. Collier, die Polizei, die Reporter, Rosette, sie alle hielten ihn wirklich für schuldig. Wider alle Logik und Vernunft mußte er das akzeptieren.
»Vernünftiges Unterscheidungsvermögen«, hatte Kitchener einmal erklärt, »ist die Trennlinie zwischen primitiven Wilden und der Zivilisation. Wir haben uns mit Hilfe des Verstandes dorthin vorgearbeitet, wo wir heute stehen, aus den Höhlen in die Wolkenkratzer. Der Körper hat dabei nie etwas bedeutet.«
Also, wenn du clever bist, sagte sich Nicholas, dann suche mit dem Verstand einen Ausweg, beweise, daß du unschuldig bist. Bilder von der fraglichen Nacht drängten sich wieder in sein Blickfeld. Er hatte die Mädchen ertappt, hatte auf seinem Bett gelegen und geweint, hatte die Schreie gehört. Und das war schon alles. Nichts Neues, kein Schlüssel in einem Logikkästchen. Wenn er doch nur zeigen könnte, daß er in seinem Zimmer gewesen war und geschlafen hatte, und die Welt zwingen könnte, das zu akzeptieren! Aber wie?
»Bleiben Sie trotzdem meine Anwältin, wenn ich auf nicht schuldig plädiere?« fragte er vorsichtig.
Das Cybofax auf ihrem Schoß hüpfte leicht auf und ab, als ihre Hände unbewußt zuckten. »Ja, Nicholas«, sagte sie langsam. »Ich bleibe Ihre Anwältin.«
»Danke. Ich möchte mich für nicht schuldig erklären.«
»Nicholas, ich lege den Fall auch dann nicht nieder, wenn Sie die Tat gestehen. Eine Menge Leute behaupten, sie wären unschuldig, weil sie sich zu sehr schämen, um ihr Verbrechen auch nur ihrem Anwalt gegenüber zuzugeben. Auf lange Sicht wirkt sich das zu ihrem Nachteil aus.«
»Ich verstehe. Ich habe Edward Kitchener nicht getötet.«
»Klar.« Sie klappte das Cybofax auf und schaltete es ein. »Es geht doch nichts über einen harten Kampf.«
Es war das erste Mal, daß er sie etwas Leichtfertiges hatte sagen hören. Beinahe hätte er gefragt, ob sie ihm glaubte, aber die Angst, sie könnte es verneinen, hielt ihn zurück. »Ich schätze, ich brauche ein Alibi«, sagte er.
Sie zog die rechte Braue hoch. »Ja. Haben Sie eines, von dem Sie bislang nicht sprechen wollten? Wir wissen, daß Uri und Liz den ganzen Abend lang auf Uris Zimmer waren. Waren Sie heimlich mit einem der übrigen Mädchen zusammen, Isabel oder Rosette? Sie sagten, Rosette hätte einmal versucht, sich an Sie heranzumachen.«
»Nein, war ich nicht.«
»Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch. Ich muß die Frage stellen: Mit Cecil Cameron?«
Der Nicholas von gestern hätte die Frage gar nicht verstanden. Heute hielt er sie einfach für logisch. »Nein.«
»Wie sieht es mit dem Programm eines Fernsehkanals aus? Haben Sie sich eines angesehen?«
»Nein.«
»Gibt es unter den anderen Studenten jemanden, der dafür in Frage käme, Sie mit falschen Beweisen zu belasten?«
»Nein. Sehen Sie, ich weiß, daß es nicht viel bedeutet, aber Greg Mandel hat doch gesagt, ich wäre es nicht gewesen. Zumindest dachte er das, nachdem er mich verhört hatte. Kann man das nicht verwenden?«
»Hmm.« Sie überlegte, den Blick in die Ferne gerichtet. »Ich kann wahrscheinlich jede Meinungsschwankung bei ihm nutzen, um seine übersinnliche Fähigkeit anzuzweifeln. Aber das reicht eigentlich nicht annähernd, um Sie zu entlasten. Das Messer ist der springende Punkt, verstehen Sie? Haben Sie eine Ahnung, wie Ihre Fingerabdrücke auf das Messer gekommen sind?«
»Nein.« Und jetzt, wo er darüber nachdachte, sich wirklich Gedanken machte, mußte er feststellen, daß man die Fingerabdrücke unmöglich wegerklären konnte. War der Mörder in sein Zimmer geschlichen und hatte seine Hand um den Griff gelegt, während er schlief? Unwahrscheinlich; er schlief nicht so tief. Drogen? Aber die Polizei hatte ihm eine Blutprobe entnommen.
Die ersten Regungen der Panik krochen über ihn hinweg, als würde er in einen kalten See eintauchen. Mal angenommen, er konnte seine Unschuld nicht beweisen? Mal angenommen, die Geschworenen befanden ihn tatsächlich für schuldig?
Manchmal konnte er sich in einen bestimmten Zustand versetzen, in dem die Außenwelt zur Sage wurde, irrelevant wurde, so daß sich seine Gedanken ungestört Problemen widmen konnten. Wie im Yoga, hatte er sich immer vorgestellt, außer daß Yoga für spirituelle Kontemplation diente. Er
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