Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
Isabel streckte rasch die Hand aus, um ihn aufzuhalten.
»Das sind die Teller vom Mittagessen, Nick«, sagte sie mit einer Spur von Vorwurf.
»Tut mir leid.« Wie dumm, tobte er innerlich. Er wußte, daß die Hitze im Gesicht von dunkelroter Farbe herrührte.
»Versuch’s hiermit«, sagte Isabel in freundlicherem Ton.
Er nahm das Tablett hoch, auf das sie deutete, drehte sich damit zur Tür um und fühlte sich total wertlos.
»Nick, danke, daß du deine Hilfe angeboten hast. Keiner der anderen hat das getan.«
Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln, und in ihrem Gesicht war etwas, das ihm ihr Verständnis zeigte.
»Ist schon okay; jederzeit.«
Nicholas und Uri verteilten gerade die Teller, als Edward Kitchener und Rosette Harding-Clarke eine Minute vor halb acht eintraten. Nicholas sah, daß der alte Knabe die üblichen Sachen trug, eine ausgebeulte weiße Hose, weißes Baumwollhemd, cremegelbe Jacke mit blauem Seidentaschentuch in der Brusttasche sowie eine winzige rote Fliege, bei deren Anblick sich Nicholas stets einen Schmetterling vorstellte, der sich auf den Hemdkragen gesetzt hatte. Kitchener verriet immer noch eine Spur des alten Tigers; das Alter war keine Gabe, die er würdevoll annahm. Er war ziemlich schlank und hielt sich mit ungeminderter Energie aufrecht. Das Gesicht war lang, die Haut um den Unterkiefer dünn gespannt und kratzig vor Bartstoppeln. Der Bürstenschnitt silbernen Haars wirkte fast wie eine Mütze.
Rosette Harding-Clarke ging neben ihm und überragte ihn um zehn Zentimeter, eine athletisch wirkende Dreiundzwanzigjährige mit weichem, rotbraunem Haar, so frisiert, daß ihr die langen welligen Strähnen bis ein gutes Stück unterhalb der Schulterblätter den Rücken kitzelten. Ihre Anwesenheit allein reichte, um Nicholas einzuschüchtern. Sie war zusammen mit ihm und Isabel hergekommen und hatte in Oxford einen Abschluß in Quantenmechanik gemacht, aber die aristokratische Herkunft verlieh ihr ein Selbstvertrauen, das er entmutigend fand. Von ihrem sozialen Klüngel hatte er in Cambridge zu viele beiläufige Abfuhren erhalten, um nicht jedesmal zusammenzuzucken, wenn diese stahlkantenscharfe Knightsbridge-Stimme die Luft zerschnitt. Rosette trug eine dunkelgraue Tweedhose und eine scharlachrote Weste mit schimmernden Messingknöpfen, von denen die beiden obersten geöffnet waren. Und nichts darunter, erkannte Nicholas schnell. Er betete darum, daß er nicht wieder rot wurde, aber Rosette konnte überwältigend sexy sein, wenn sie wollte.
Kitchener und Rosette gingen Arm in Arm. Wie ein Liebespaar, dachte Nicholas, und insgeheim vermutete er auch, daß sie eins waren. Nicht nur Kitcheners Einstellung zu seinen Physikerkollegen hatte ihm in früheren Jahren Schwierigkeiten bereitet. Boulevardsendungen im Fernsehen feuerten stets ganze Breitseiten von Gerüchten über ihn und Studentinnen ab. Und wie Kitchener das genossen und sich in seiner mediengeschaffenen Rolle als notorischer Lebemann gesonnt hatte! Kurz nach dem Kauf von Launde Abbey hatte er sogar eine Stellungnahme veröffentlicht, daß er weibliche Studenten nur einzuladen gedachte, damit sie hier als seine Novizinnen anfingen und einen Musenharem für ihn bildeten. Natürlich hatte er das nie wahrgemacht; das Geschlechterverhältnis war immer halbe/halbe, aber wer in der Öffentlichkeit machte sich schon die Mühe, das herauszufinden? Die Legende blieb unerschütterlich bestehen.
»Hat sich irgend jemand die Nachrichten angesehen?« fragte Kitchener, nachdem er sich auf den Carverstuhl am Kopfende der Tafel gesetzt hatte.
»Ich war damit beschäftigt, die Gammastrahlendaten vom Antomine 12 zu korrelieren«, sagte Nicholas.
»Gut gemacht, junger Mann. Freut mich, daß jemand in diesem Bummelantenparadies arbeitet. Was ist nun mit diesem kleinen Problem, das ich Ihnen genannt habe? Diese Sache mit den Magnetosphären-Induktionsgeneratoren, heh, haben Sie das gelöst?«
»Nein, tut mir leid, die Idee mit der Gravitationslinse war faszinierend, und noch niemand hat die Daten bislang tabellarisch so dargestellt wie ich«, bot ihm Nicholas zum Ausgleich an. Er zog den Kopf ein, war sich nicht sicher, wie er damit ankommen würde. Kitchener legte die Forschungsgegenstände immer selbst fest, aber manchmal zeigte sich der alte Knabe den Antworten gegenüber völlig gleichgültig. Man kam nie darauf, weswegen er einem zusetzen würde, was beunruhigend sein konnte. Wenn man das mal unberücksichtigt ließ, dachte Nicholas,
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