Mindstar 03 - Die Nano-Blume
Julia am Tisch und die Julias auf den Bildschirmen runzelten alle gemeinsam die Stirn. »Benimm dich, Opa!« sagten sie im Chor.
Philip Evans verdrehte die virtuellen Augen.
Greg sah Rick an und wußte genau, wie er sich fühlte. Es juckte ihn, wirklich etwas zu tun, endlich Action zu sehen. Greg war selbst so gewesen, als er zur Armee ging. Man konnte alles physisch lösen, konnte sehen, wie es passierte. Es erforderte viel Zeit und viel Kummer, sich diesen speziellen Trugschluß abzuschminken. »Es sieht folgendermaßen aus«, erklärte er mitfühlend. »Charlotte Fielder ist schwer mitgenommen. Sie ist dreiundzwanzig Jahre alt und kennt seit fünf Jahren nichts anderes mehr als das gute Leben. All das wurde heute in Trümmer gelegt; man hat sie bedroht, gehetzt, auf sie geschossen, ihr die Finger gebrochen; sie mußte miterleben, wie ihr Kunde umgebracht wurde, und erfahren, daß jemand auch ihren Förderer umgelegt hat. Im Moment möchte sie sich am liebsten zu einer Kugel zusammenrollen und die ganze Welt aussperren. Sollte ich sie jetzt verhören, würde sie nicht kooperieren; ihr Verstand würde sich schließen wie eine Blüte in der Nacht. Ich würde einiges übersehen; so gut ich auch bin, unfehlbar bin ich nicht. Aber wenn wir bis morgen warten, dann hat sie schon die ersten Schritte auf dem Weg zur Erholung zurückgelegt. Sie wird helfen wollen, wird sich an denen rächen wollen, die sie terrorisiert haben, wird offen mit uns reden. Und wenn das passiert, muß ich wissen, welches die richtigen Fragen sind, die ich ihr stellen muß.«
»Hören Sie auf ihn, Rick«, sagte Philip Evans. »Er weiß mehr darüber, was in den Köpfen der Leute vorgeht, als eine ganze Kneipe voller Klapsdoktoren.«
Julia warf Greg einen schelmischen Blick zu. »Und die Tatsache, daß sie hinreißend schön ist, hat natürlich nichts mit deinem Wunsch zu tun, sie sachte anzufassen.«
Greg lächelte sie katzenhaft an und schnappte sich ein weiteres Sandwich. Victor lachte in sich hinein.
Der engsitzende Stoff von Ricks Jacke kräuselte sich, als er die Achseln zuckte. »Tut mir leid, ich bin an solche Sachen nicht gewöhnt.«
»Wir müssen das Thema besprechen«, sagte Julia. »Ich brauche das vollständige Bild, ehe ich entscheide, wie wir reagieren. Und im Moment sind einfach zu viele Unbekannte im Spiel. Bestimmt sind diese gesichtslosen Drahtzieher durch einen roten Faden verbunden. Falls es uns gelingt, die bislang angehäuften Daten zu korrelieren, sollten wir herausfinden, worin er besteht.«
Greg lächelte innerlich. Julia tat das gleiche wie er. Biß sich von allen Seiten in ein Problem hinein, bis sie die Lösung fand. Der einzige Unterschied bestand darin, daß sie die Logik ihrer Netzknoten einsetzte, er seine Intuition.
Er leitete eine leichte Sekretion der Psidrüse ein, nicht genug für die außersinnliche Wahrnehmung, nur ein wenig, um die grauen Zellen auf Trab zu bringen, sie hochzufrisieren. Eine traumartige Ruhe ergriff ihn, fast wie ein physischer Schleier, machte das Konferenzzimmer unschärfer, dämpfte die Stimmen. Er ließ die Bilder des Tages an sich vorbeiziehen. Er sah Gesichter und Orte, nebelhafte Collagen. Ein überwältigendes Gefühl von Gewißheit stieg auf.
»Rußland«, sagte er. »Rußland ist die Verbindung.«
»In welcher Weise?« fragte Julia.
»Ich sage dir, Intuition ist der Logik immer überlegen.« Er stellte die Drüsensekretion ein.
»Greg!« schnauzte sie.
»Spuck es aus, Junge«, sagte Philip Evans.
»Nia Korovilla und Dimitri Baronski.«
Victor schnipste mit den Fingern. »Meine Fresse, es waren beide russische Emigranten!«
»Kein Vertun.« Greg schwenkte seinen Stuhl, so daß er die drei Telekonferenzmonitore ansah. »Fahrt mal ein Suchprogramm«, verlangte er von den NN-Kernen. »Jedes Profil, das ihr heute erstellt habt, jede Person, jeder Ort, jedes Unternehmen, alles, was in die Geschichte verwickelt ist. Ich möchte erfahren, welche Verbindungen jeweils zu Rußland bestehen, wie dünn auch immer.«
»Wir sind schon dabei«, sagte Julias NN-Kern zwei. Ihr Gesicht und das von Philip Evans erstarrten.
»Danke, Greg«, sagte Julia.
»Ich wünsche mir Royan auch zurück.«
Eine horizontale, flackernde Linie lief an den Monitoren herunter. Die Bilder wurden wieder lebendig. »Greg hatte recht. Zwei weitere Verbindungen liegen vor, möglicherweise drei.«
»Redet schon«, sagte Julia.
»Zweiunddreißig Prozent des Mutizenkombinats gehören der Narodny-Bank in
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