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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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treffe dich dann rechtzeitig
zum Dinner hier.«
    Minerva
bahnte sich einen Weg durch die belebte Straße und war doch froh, daß sie ihre
beste Kopfbedeckung trug: einen sogenannten Prinzregentenhut aus Samt mit einem
Rand aus Seehundfell, der gerade in Mode war. An der rechten Seite des hohen
Hutes war eine lange Straußenfeder befestigt, die über den Hut hinweg bis zum
linken Ohr reichte.
    In der
letzten Ausgabe der Zeitschrift ›La Belle Assemblée‹ stand: »Alles trägt
jetzt den Namen unseres geliebten Prinzregenten.« Und so hieß Minervas
Tuchjacke auch Prinzregentenjacke. Typisch für die so benannten Kleidungsstücke
waren die Epauletten an den Ärmeln.
    Minerva zog
recht viele Blicke von Männern auf sich, die offensichtlich der eleganten Welt
angehörten und zum Pferdemarkt gingen. Sie wünschte, sie hätte eines der
Hausmädchen mitgenommen. Manche Männer hatten Damen bei sich, die so
engsitzende Kleider trugen, so viel Rouge aufgelegt hatten und sich so
schamlos benahmen, daß Minerva vermutete, daß sie das erste Mal diese
geheimnisumwitterte Sorte Frauen sah, die man flüsternd als Dirnen bezeichnete.
    Annabelle stieß die großen Eisentore auf, die
zu Lady Wentwaters Haus führten, und ging mit schleppenden Schritten die
Auffahrt hinauf. Sie hatte fürchterlich schlechte Laune, die um so schlechter
war, als sie niemanden hatte, an dem sie sie auslassen konnte.
    Von ihrer
nachgiebigen älteren Schwester und ihren Eltern verwöhnt, neigte Annabelle zu
Wutanfällen, die ihren Grund einfach darin hatten, daß sie vor Langeweile überreizt
war.
    Lady
Wentwater war bekannt dafür, daß sie kein Geld hatte und
dafür, daß sie eine scharfe Zunge hatte. Ihr großes, zugiges, baufälliges Haus
war so von Efeu überwuchert, daß es wie ein riesiges Baumhaus aussah.
    Der Himmel
war grau, und der Wind heulte traurig in den kahlen Bäumen entlang der
Auffahrt.
    Annabelle
klingelte, erinnerte sich dann, daß die Klingel nicht ging, und stieß
ungeduldig mit ihrer bräunlichen Stiefelette an die Tür.
    Einer von
Lady Wentwaters alten Dienern machte ihr auf und teilte dem Fräulein mit, daß
die gnädige Frau im hinteren Salon sei.
    Lady
Wentwater war eine kleine Frau, unförmig wie ein Teigklumpen, in den man
Korinthen als Augen und eine Zimtstange als Mund gesteckt hatte. Ihre Kleidung
war alt und muffig und roch abscheulich.
    »Wo ist Miß
Armitage?« fragte sie asthmatisch pfeifend. Der Mops auf ihrem Schoß schnaufte
ebenfalls pfeifend, die Uhr auf dem Kaminsims pfiff leise, bevor sie die volle
Stunde schlug, und der Diener, der das Teetablett brachte, zog als Antwort die
Luft pfeifend ein. Es war, als litte die ganze Welt an einem gewaltigen, alles
umfassenden Asthmaanfall.
    »Minerva
ist mit Papa zum Pferdemarkt nach Hopeminster gefahren«, antwortete Annabelle
und setzte sich mürrisch neben das Teetablett, nicht ohne die spärlichen,
altbackenen Gebäckstücke auf der Kuchenplatte zu begutachten.
    »Aha, um
das eine Fohlen zu ersteigern und das andere zu versteigern«, keuchte ihre
Ladyschaft.
    »Das
versteh' ich nicht.«
    »Sollst du
auch nicht. Trink deinen Tee und lies. Was hast du mitgebracht?«
    »Nichts«,
sagte Annabelle. »Ich dachte, Sie haben die Bücher.«
    »Sprich
mich bitte mit ›Mylady‹ an, wenn du mit mir sprichst, Mädchen!«
    »Mylady«,
sagte Annabelle mit zusammengekniffenen Lippen.
    »Das ist
schon besser. Nun, nachdem deine Schwester nicht hier ist, kannst du das da
lesen. Aber sag es ihr ja nicht! Sie mag Romane nicht und würde mir ewig Vorhaltungen
machen!«
    Etwas überrascht,
daß diese furchterregende Dame ihrerseits Furcht vor ihrer Schwester hatte,
trank Annabelle ihren Tee, der ihrer Überzeugung nach aus Teestaub gebrüht
war, und gab dem Diener das Geschirr zurück. Sie bat um das Buch und ein paar
zusätzliche Kerzen, denn der Raum wurde zunehmend dunkler.
    Im Grunde
wußte niemand viel über Lady Wentwater, dachte Annabelle, als die Kerzen
angezündet wurden. Im Adelsverzeichnis tauchte kein Wentwater auf, und doch
wäre niemand auf die Idee gekommen, Lady Wentwaters Titel anzuzweifeln oder sie
der Hochstapelei zu bezichtigen. Sie bezeichnete sich als Witwe, aber auf den
verstorbenen Lord Wentwater wies überhaupt nichts mehr hin, weder ein Porträt
noch eine Miniatur.
    Ein
winziges Feuer knisterte im Kamin; es wärmte nur Lady Wentwaters muffige Röcke
und verlor sich in der kalten Luft. Trotzig schob Annabelle ihren Stuhl näher
zum Feuer und fragte, ob

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