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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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zu vermitteln, daß sie ausgesprochen unmodern aussah; aber ihr
Neid war glücklicherweise so offensichtlich, daß Minerva sich nicht
verunsichern ließ.
    Schließlich
saß Minerva im Wagen, auf dessen frischer Lackschicht die Sonne glänzte; auch
die letzte Hühnerfeder war von den Sitzen entfernt. Betty, das Mädchen, war
knallrot vor Aufregung, und die anderen Diener fragten sich, ob die Krämpfe der
Hausherrin ansteckend seien.
    John Summer
knallte mit der Peitsche. Die zwei Ackergäule legten sich in die Stränge.
    Und weg
waren sie!
    Minerva
fühlte einen Kloß in ihrer Kehle aufsteigen, als die kleine Gesellschaft auf
den Stufen des Pfarrhauses immer undeutlicher wurde und plötzlich überhaupt
nicht mehr zu sehen war, nachdem die schwere Kutsche um eine Straßenbiegung
gepoltert war.
    Die goldenen
Strohdächer der um die Dorfwiese gedrängten Häuschen glänzten wie frisch
geprägte Guineen. Enten tauchten auf dem seidigen Wasser des Dorfweihers auf
und nieder. Ein Schwan segelte majestätisch dahin und hinterließ ein breites V
auf der Wasseroberfläche. Aus den Schornsteinen stieg Rauch. Die gedrungene,
respektgebietende Kirche von St. Charles und St. Jude wurde immer kleiner. Ein
paar Stammgäste, die vor den ›Sechs Fröhlichen Bettlern‹ saßen, begrüßten
sie mit lautem Hallo.
    Vorbei an
den verzierten Toren des Herrenhauses rumpelte die alte Armitage-Kutsche, über
die Bogenbrücke, die den Blyne überspannte, vorbei an dem unkrautüberwucherten
Besitz von Lady Wentwater, wo die Primeln aus den moosbewachsenen Mauerritzen
lugten. Eine scharfe Rechtskurve beim Galgen, und man war auf der Straße nach
Hopeminster, auf der der Schlamm trocknete.
    Bald begann
Staub von der Straße hochzusteigen, so daß Minerva die Fenster hochzog; sie saß
ganz aufrecht, aus Angst ihren Hut zu zerdrücken, wenn sie sich zurücklehnte.
    Nach
einiger Zeit kam die Stadt Hopeminster in Sicht.
    Die Sonne
war nicht mehr zu sehen, als die Kutsche unter den versetzten Obergeschossen
der Tudorgebäude dahinrollte.
    Als sie am
›Goldenen Hahn‹ vorbeifuhren, verspürte Minerva einen heftigen Schmerz
in der Herzgegend. Ein großer Mann im Biberhut mit gelocktem Rand und blauem
Mantel stand am Portal zum Hof des Gasthauses. Als die Kutsche vorbeikam,
drehte er sich um, als ob er ihren Blick auf sich gefühlt hätte. Er hatte ein
schmales Fuchsgesicht und farblose Augen.
    Dennoch
überkam sie die Erinnerung an Lord Sylvester. Minerva kam zu der Einsicht, daß
Lord Sylvester eine Art Teufel war, weil er solche sündigen Gefühle in ihrer
Brust heraufbeschwor. Sie nahm ihre Bibel heraus und begann zu lesen; ihre
Augen wanderten zwischen den Zeilen, bis sie einschlief.

Fünftes
Kapitel
    Lady Godolphin führte am Hannoverplatz
ein großes Haus. Zuerst war Minerva überrascht über die teure Adresse und
dachte, ihre Beschützerin habe ein Stockwerk von einer anderen Familie
gemietet. Sie nahm natürlich an, daß jemand, der die Kosten für eine Saison
zurückerstattet haben wollte, in angespannten finanziellen Verhältnissen
lebte.
    Aber es
stellte sich heraus, daß der ganze riesige Wohnsitz Lady Godolphin gehörte.
    Sie hatten
ihre Reise bei einer Poststation in den Außenbezirken der Stadt unterbrochen,
und Minerva hatte darauf bestanden, daß sie schon um sechs Uhr aufbrachen; sie
stellte sich ganz naiv vor, daß man sich in London an dieselben Zeiten wie auf
dem Land hielt.
    Ein
imposanter Butler informierte Miß Armitage mit leiser Stimme, daß Mylady noch
im Bett liege und es wahrscheinlich nicht vor Mittag verlassen werde und daß
sie strengen Befehl gegeben habe, sie nicht zu stören.
    Eine
gestrenge Haushälterin zeigte Minerva eine hübsche Zimmerflucht im zweiten
Stock.
    »Es ist wie
im Kensington-Palast«, sagte Betty, das Mädchen, voller Ehrfurcht.
    »Du kannst
meine Koffer auspacken«, bemerkte Minerva ziemlich streng, um zu verbergen, daß
sie genauso ehrfürchtig wie das Mädchen war.
    Der Salon
war in Nilgrün und Gold gehalten und wies einige sehr schöne Möbelstücke auf:
eine mangrovenfurnierte Kommode aus der Zeit Williams und Marys stand an einer
Wand, ein Louis-XVI.-Schreibtisch an der anderen. Die Gemälde waren von
Zoffany, Reynolds und Lely.
    Das
Prunkstück des Schlafzimmers war ein modernes muschelförmiges Bett, das passend
zu einer Garnitur muschelförmiger Sessel aus dem vorigen Jahrhundert geschreinert
war. Das Bett sah in Minervas züchtigen Augen dekadent aus mit seinen Stützen
aus Seejungfrauen

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