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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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man Lady
Godolphin anstarren und über sie kichern würde, und daß sie der Gegenstand
allgemeinen Spottes sein würde. Denn wie anders konnte man Lady Godolphin
anschauen als mitleidig oder verächtlich.
    Aber dann
war es doch Minerva, die angesichts der sie bestürmenden Blicke zusammenzuckte,
als sie den Ballsaal betrat. Die ersten Volkstänze waren gerade vorbei, und die
Tanzpaare promenierten vor dem nächsten Tanz um das Parkett. Minerva schien es,
als ob aus jeder Ecke des Ballsaals stechende abschätzende Augen zu ihr
herstarrten. Niemand gab sich auch nur die Mühe, so zu tun, als ob er seitlich
an ihr vorbei oder hinter dem Fächer verborgen zu ihr schauen würde. Manche
Herren zogen gar ihr Monokel hervor und begutachteten sie von Kopf bis Fuß.
    Dagegen
schien niemand Lady Godolphin die geringste Beachtung zu schenken.
    Minerva
wurde von ihrer Begleiterin mehreren harten Gesichtern mit kalten Augen
vorgestellt; dann bahnten sie sich ihren Weg zu einer Reihe vergoldeter
Stühlchen an der Wand.
    »Die ganze
große Welt samt Frauen ist da«, sagte Lady Godolphin und fächelte sich
kraftvoll zu. »Ich zeige sie dir. Da ist Lord Alvaney. Ach, und dort ist Mr.
Brummell. Lady Sefton spricht da drüben mit Mr. Cope, dem kleinen Mann in Grün.
Bestimmt fordert dich gleich jemand zum Tanz auf. Sitzen deine Strumpfbänder
richtig?«
    »Ja«,
antwortete Minerva knapp. »Aber nicht zu fest«, fügte sie leise hinzu. »Es ist nicht
gut, die Blutzirkulation zu beeinträchtigen.«
    »Quatsch«,
sagte Lady Godolphin. »Strumpfbänder, die nicht fest sitzen, sind das
Tückischste überhaupt. Ich erinnere mich ... ah, wenn ich mich nicht irre,
kommt da dein erster Kavalier. Jeremy Bryce, gutaussehend, verschwenderisch,
ein Hohlkopf.«
    Mr. Bryce
war ein großer Mann mit einem beachtlichen Kavalleriebackenbart. In seinem
Gesicht überwog deutlich eine Seite: Seine Nase bog sich ein bißchen nach
rechts, seine Augen richteten sich ein bißchen nach rechts, und sein rechter
Mundwinkel war hochgezogen. Seine außergewöhnlich langen Beine waren in eine
ganz besonders enganliegende schwarze Hose gezwängt, und während des Tanzens
schienen diese Beine überall zu sein; wie ein verletztes Insekt fuchtelte er
mit ihnen in der Luft herum.
    Es gab
nicht viel Möglichkeit zur Unterhaltung, bis die Tanzfolge vorbei war, und er
mit Minerva im Ballsaal promenierte.
    »Ich
glaube, Sie sind neu in der Stadt«, begann er. »Was halten Sie von der Saison?«
    »Ich weiß
es nicht«, antwortete Minerva, die sich vorgenommen hatte, um jeden Preis
ehrlich zu sein. »Die Saison hat noch nicht begonnen.«
    »Ach, Sie
wissen, was ich meine«, sagte er, eine Spur ärgerlich. »Die ganze Saison ist
wie der heutige Abend.«
    Minerva
musterte den Ballsaal mit den reich gekleideten Leuten darin, sie schnappte
gelegentlich ein paar Brocken boshaften Klatsch auf und sah die besorgten Augen
der Debütantinnen.
    »Ich halte
das alles für eine Komödie«, sagte sie schließlich mit ihrer wohltönenden
Stimme. »Ich finde, die feine Gesellschaft kümmert sich zu sehr um weltliche
Dinge und zu wenig um ihre unsterblichen Seelen.«
    »Wirklich,
gnädiges Fräulein, mir scheint, Lady Godolphin wünscht Sie zu sprechen und
deshalb ...«
    Er lieferte
sie ohne Verzug bei Lady Godolphin ab – die überhaupt nicht nach Minerva
gesucht hatte – und ging, sich den Schweiß von der Stirn wischend, fort.
    »Ich hoffe,
du hast keine Zeit damit vergeudet, mit dem jungen Bryce zu flirten«, bemerkte
Lady Godolphin. »Da ist absolut kein Geld da.«
    Bevor
Minerva antworten konnte, kam ihr nächster Kavalier auf sie zu. »Witwer,
schwärmt für junge Mädchen, anständiges Einkommen, nichts Außergewöhnliches«,
kam es von ihrer Anstandsdame, gerade bevor sich ihr neuer Partner über ihre
Hand beugte. Er wurde ihr als Harry Blenkinsop vorgestellt. Wieder bot der Tanz
– es war ein Volkstanz, der fast eine halbe Stunde dauerte – wenig Gelegenheit
zum Flirt oder zur Unterhaltung.
    Und wieder
ging Minerva am Arm ihres Partners umher, wie es Brauch war, wobei ihre Augen
den Ballsaal absuchten. Ihr gefiel nicht, was sie sah, aber sie gestand sich
nicht einen Augenblick lang ein, daß es ihr deswegen nicht gefiel, weil die
hochgewachsene Gestalt Lord Sylvesters nicht unter den Anwesenden war.
    »Ich war
einmal bei den Osbadistons«, erzählte Mr. Blenkinsop, »und hatte die Ehre, mit
der Meute Ihres Vaters zu jagen. Das war ein Erlebnis, Miß Armitage! Er hat die
Meute in

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