Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
Vom Netzwerk:
schätzen?«
    »Ich weiß
es nicht«, antwortete Minerva taktvoll.
    »Das glaube
ich«, krähte Lady Godolphin. »Weil du eine alte Eule erwartet hast und nicht
eine junge Frau wie mich. Meine Haare sind grau, das ist der einzige Nachteil,
aber das wird sich ab heute nachmittag ändern. Wie geht es deinem Papa?«
    »Danke,
sehr gut, Mylady, und er läßt ...«
    »Und das
Kleid, das du auf dem Ball tragen wirst, ist hinreißend«, unterbrach Lady
Godolphin, die selten auf das hörte, was andere sagten.
    »Ich wollte
eigentlich heute abend noch nicht ausgehen«, wagte Minerva einzuwerfen. »Ich
bin ein bißchen müde ...«
    »Aber deine
Frisur ist nicht modern. Das muß alles ab! Das muß alles ab!«
    »Ich halte
nichts davon, an dem, was Gott der Herr mir mitgegeben hat, allzuviel zu
verbessern«, sagte Minerva steif.
    Diesmal
hatte Lady Godolphin zugehört und schaute sie fassungslos an. Dann gewann sie
ihre gute Laune wieder. »Nun, ich kann mich wohl darauf verlassen, daß du dir
im Ballsaal solche Bemerkungen sparst.«
    Im Laufe
des Nachmittags, der vor lauter Anproben und Abstecken und Pakete-Auspacken und
Haarschneiden rasend schnell verging, wurde es für Minerva immer mehr zu einer
Gewißheit, daß Gott es so eingerichtet hatte, daß sie nach London ging. Es war
offensichtlich, daß Lady Godolphin eine Sünderin war, die bekehrt werden
mußte. Es war eine Schande, daß eine Frau in ihren Jahren sich wie ein junges
Mädchen aufführte, sich wie eine Dirne schminkte und wie ein Stallknecht
sprach. In der Aufregung der Vorbereitungen wurde Lady Godolphins
Ausdrucksweise nämlich so derb, daß sie beim Jagen angebracht gewesen wäre.
Vor der äußersten Grobheit bewahrten sie nur ihre Bildungsschnitzer und ihre
häufigen, unpassenden Fremdwörter.
    »Follikel!«
war ihre Lieblingsfluch. Sie hatte das Wort einmal von einem Friseur in
Verbindung mit Haarwurzeln flüstern hören und hatte es gleich für einen ganz
anderen Teil des menschlichen Körpers gehalten.
    Minerva
preßte ihre Lippen noch fester aufeinander. Sie wollte diesen Ball überstehen
und ihr Bestes tun, um zu gefallen. Aber ihre eigentliche Aufgabe war es
sicherlich, der leichtlebigen Lady Godolphin etwas Tugend beizubringen.
    Da Minerva
jemanden gefunden hatte, von dem sie glaubte, daß er sie brauchte, gewann sie
schnell ihre Ausgeglichenheit zurück und nahm die ganze Anzieherei und
Vorbereitung mit Anstand auf sich. Sie hatte befürchtet, daß das Ballkleid, das
Lady Godolphin für sie ausgesucht hatte, anstoßerregend sein würde, aber Lady
Godolphin war keineswegs dumm und hatte nicht die Absicht, eine Jungfrau allzu
marktschreierisch anzupreisen.
    Minervas
Gewand war aus leichter himmelblauer Seide mit einer Halbschleppe; um den Saum
lief eine breite Van-Dyke-Spitze. Die kurzen Ärmel waren mit einer Perlenschnur
am Oberteil befestigt. Ihre Haare hatte der Friseur in griechischem Stil
frisiert: mit weichen Locken um das Gesicht und aufgesteckten Zöpfen, die mit
Perlen und Karneol durchflochten waren. Weiße Ziegenlederhandschuhe, die
kunstvoll gefältet waren, damit sie nur ein kleines Stück Arm bedeckten, eine
Daunenstola und Perlohrringe vervollständigten das Ensemble.
    Lord und
Lady Aubryns hatten ein Stadthaus am Grosvenorplatz, das man gut zu Fuß
erreichen konnte. Aber es gehörte zum guten Ton, im Wagen vorzufahren und erst
an der Haustür auszusteigen, so daß sie fast eine volle Stunde im dichten
Verkehr warten mußten, ehe sie am Herrenhaus der, Aubryns abgesetzt wurden.
    Lady
Godolphin hatte ein dünnes, weißes Musselinkleid an, das feucht gebügelt worden
war, damit man auch jede schwellende Rundung ihres stämmigen Körpers sah. Auf
ihren frisch aufgeblondeten Haaren waren Zebravogelfedern befestigt, die ihr,
zusammen mit ihrer grellen Bemalung, das Aussehen eines Wilden auf dem
Kriegspfad verliehen. Sie belustigte sich während der langen Wartezeit in der
Schlange vor dem Haus der Aubryns damit, die anderen Kutscher zu beschimpfen.
»Platz da!« schrie sie, ihren Federkopf aus dem Fenster reckend.
    »Ihr wollt
Kutscher sein? Wahrhaftig, das seid ihr nicht. Ihr seid allesamt Follikel. Ein
ganzer Pack Follikel!«
    Minervas
Augen nahmen einen verklärten Ausdruck an. Lady Godolphin war eine fabelhafte
Sünderin; ihre sündige Seele schrie geradezu nach Rettung. Minerva war so begeistert
über die Aussicht, Lady Godolphin zu bekehren, daß sich ihre Wangen rosig
färbten und ihre großen Augen strahlten. Sie war sich sicher, daß

Weitere Kostenlose Bücher