Minerva - sTdH 1
Juwelen und auf den geschminkten Gesichtern, auf den gestriegelten Pferden
und ihrem silbernen Geschirr. Die eleganten Leute, die nicht fuhren, spazierten
auf und ab. Eine ganz feine, von den Wagenrädern aufgewirbelte Staubwolke hing
in der Nachmittagsluft.
Minerva
faßte einen Entschluß. Ihre Familie mußte an erster Stelle stehen. Sie mußte
heiraten, und sie mußte gut heiraten. Deshalb mußte sie auf der Stelle den
Schaden, den sie ihrem Ruf zugefügt hatte, wiedergutmachen.
»Ja«, sagte
sie.
»Ausgezeichnet«,
sagte er leichthin.
»Ist es
Ihnen nicht in den Sinn gekommen, daß die Herren, die mich besucht haben, es
vielleicht doch ernst meinen?« fragte Minerva.
»Nein.
Daran habe ich noch nicht gedacht. Aber, auf der anderen Seite, wer weiß? Ihre
Schönheit hat sie möglicherweise bekehrt.«
Leute, die
glauben, daß Eitelkeit für sie überhaupt nicht existiert – und Minerva gehörte
zu dieser Sorte –, erkennen diese Sünde gar nicht so leicht, wenn sie doch
einmal von ihnen Besitz ergreift.
Bei
genauerem Nachdenken über Lord Sylvesters letzte Bemerkung fühlte sich Minerva
daher geradezu schuldig, weil sie zu ihren Besuchern so unbarmherzig gewesen
war, zumal ihr die bewundernden Blicke, die auf sie geworfen wurden, gar nicht
entgehen konnten.
Daß es ihr
zu verdanken war, daß wenigstens sieben dekadente Mitglieder der Gesellschaft
gebessert waren, leuchtete ihr zusehends ein.
Sie wollte
Lord Sylvesters Angebot annehmen und versuchen, zur Gesellschaft zu gehören
und eine gute Partie zu machen. Aber vielleicht konnte sie ganz nebenbei auch
noch eine gute Tat vollbringen.
Ihr
Gewissen machte sich schmerzhaft bemerkbar. Annabelle hätte sich nicht mit
solchen moralischen Bedenken abgegeben. Die hübsche, leichtsinnige Annabelle
hätte die Männer bezaubert und ihnen gefallen, und ehe zwei Wochen von der
Saison vergangen wären, wäre sie schon verlobt gewesen.
Lord
Sylvester war voll darauf konzentriert, sein Gespann durch den dichten Verkehr
zu lenken. Minerva fragte sich unterdessen, was Annabelle wohl machte und ob
sie je wieder etwas von Guy Wentwater hörte.
Mit einer Haselrute köpfte Annabelle
grimmig die Disteln am Wegrand und beneidete Minerva von ganzem Herzen. Während
Minerva im Hyde-Park spazierenfuhr, war Annabelle auf dem Weg zu Lady
Wentwater, um ihr vorzulesen.
Lady
Wentwater hatte wochenlang Guys Namen nicht erwähnt, mit dem Ergebnis, daß sich
Annabelles Gedanken; mehr als ihr selbst lieb war, um diesen jungen Mann
drehten. Jimmy, der Butler der Osbadistons, war erst am Tag vorher gestorben.
Nach Aussagen des Arztes an Altersschwäche – zu jedermanns Überraschung: Man
wußte nicht, daß Schwarze
nicht so merklich altern wie Weiße. Mit dem vielbetrauerten und vielgeliebten
Jimmy war der einzige Berührungspunkt, den man in der Grafschaft Berham mit
Schwarzen hatte, zu Grabe getragen worden, und damit auch jede unmittelbare
menschliche Einsicht in die Schrekken des Sklavenhandels.
Guy
Wentwaters Werben verklärte sich für Annabelle in ihrer Erinnerung. Bisher war
auch kein anderer junger Mann aufgetaucht, der seinen Platz hätte einnehmen können.
Annabelle
fühlte sich immer gelangweilter und enttäuschter.
Sie hatte
Minervas Brief, der am selben Morgen angekommen war, verschlungen und, schlau
wie sie war, war es ihr nicht entgangen, daß Minerva nicht einen einzigen Namen
eines Herrn erwähnt hatte.
Wahrscheinlich
hält sie ihnen Predigten, dachte Annabelle. Minerva ist eine gute Haut, aber
ach, wieviel besser würde ich dort zurechtkommen!
Annabelle
hatte ganz naiv erwartet, daß ihre Mutter einige von Minervas Besuchen
übernehmen würde, aber schon allein der Vorschlag genügte, daß Mrs. Armitage
einen ihrer berühmten Krämpfe bekam.
Minerva war
erst ein paar Tage weg, und schon stöhnte Annabelle unter dem Gewicht der
aufreibenden Pflichten in der Gemeinde. Warum bloß hatte Minerva gar so viel
getan? Jetzt erwarteten alle Pfarrkinder, daß Annabelle genauso viel tat.
»Ich bin
kaum besser dran als ein Dienstbote«, klagte Annabelle für sich. »Wie war das
zum Beispiel mit Mrs. Jeebles. Als sie damals Wechselfieber hatte, hütete
Minerva ihre Kinder. Jetzt ist sie nicht mehr krank, aber erwartet
stillschweigend, daß das Pfarrhaus sie jeden Tag mit einem unbezahlten
Kindermädchen versorgt. Und wenn ich nicht hingehe und Vater sage, daß ich dort
war, dann kommt Mrs. Jeebles jammernd und heulend zum Pfarrhaus gelaufen.
Vielleicht wäre alles halbwegs
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