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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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erträglich, wenn nicht Josephine und Emily
dauernd antanzen würden, um ihre neuen Kleider für London vorzuführen. Sie
nehmen beide an der Saison teil. Es ist einfach nicht fair.«
    Allmählich
begann ihr Ärger jedoch abzuflauen. Annabelles schlechte Laune hielt nie lange
an. Ihre sonnige Natur setzte sich immer wieder schnell durch.
    Es war ein
schöner Frühlingstag. Die Kastanienblüten leuchteten wachsweiß im frühen
Abendlicht. Am Himmel stießen die Schwalben auf und nieder. Auf den Getreidefeldern
zeigte sich eine schwache Spur von kurzen grünen Halmen: Die neue Ernte bahnte
sich bereits ihren Weg durch die braunen Erdschollen. Die Luft duftete süß nach
den Blüten des Weißdorns und den Sumpfpflanzen, die im Straßengraben wuchsen.
Der Abend war golden und sehr still.
    Annabelle
blieb auf der Bogenbrücke, die über den Blyne führte, stehen und warf Blätter
in das braune, schäumende Wasser. Dabei rannte sie von einer Seite der Brücke
zur anderen, um ihre kleine Flotte hinuntersegeln zu sehen.
    Sie hatte
ein hellblaues Batistkleid mit dunkelblauen Punkten an. Auf ihren
widerspenstigen goldenen Locken trug sie ein Tüchlein, das sie so gefaltet
hatte, daß die Enden nach hinten zeigten. Sie hatte es mit künstlichen Kornblumen
und blauen Bändern verziert. Obwohl diese Kopfbedeckung
eigentlich für den Abend bestimmt war, trug Annabelle sie auch am Tage, weil
sie wußte, wie gut sie ihr stand – und
um fünf Uhr begann, genau besehen, eigentlich schon der
Abend. Ihre Wangen waren mit selbstgemachtem Rouge getönt. Annabelle verdiente
sich oft ein kleines Nadelgeld, indem
sie Schönheitsmittel an die Dorfbewohnerinnen verkaufte. Sie hatte das Rouge
aus einer Mischung von 18 Teilen
Zinnoberrot, 12 Teilen Safrantinktur, 30 Teilen Iriswurzelpulver, 120 Teilen
ausgefälltem Kalk, 120 Teilen Zinkoxyd, 2 Teilen Kampfer, 2 Teilen ätherischem
Öl, 2 Teilen Pfefferminzöl und einer ausreichenden Menge Mandelöl hergestellt.
    Annabelle
hatte das Rouge erst nach Verlassen des Pfarrhauses aufgelegt, da sie ihre
Schönheitsmittel in einer Schachtel im Wagenschuppen versteckt hielt.
    Nach einer
Weile hatte sie es satt, Blätter von der Brücke hinabzuwerfen, und machte sich
wieder auf den Weg zu Lady Wentwaters Haus.
    Das
Ärgerliche an Lady Wentwater war, überlegte Annabelle düster, als sie sich in
einem schäbigen Sessel im Salon niedergelassen hatte, daß sie einem
unbestritten großartige Romane zum Vorlesen gab, die sie aber schon selbst fast
zu Ende gelesen hatte. Es konnte einen verrückt machen, daß man in der Mitte
oder am Ende beginnen mußte. Mit einem kleinen Seufzer begann sie zu lesen:
    »›Ich
bitte Sie‹, flüsterte Seine Lordschaft, ›ist diese eigenartige Frau Ihre
Mutter?‹
    ›Du
meine Güte, Sir, was für eine Ausdrucksweise für solch eine Frage! Nein,
Mylord.‹
    ›Ihre
unverheiratete Tante also? Wer immer sie ist, ich wünschte, sie würde sich um
ihre eigenen Angelegenheiten kümmern;
ich weiß wirklich nicht, warum, zum Teufel, Frauen älter als dreißig werden;
sie sind anderen Leuten nur im Weg ...‹«
    »Das
reicht«, unterbrach Lady Wentwater verärgert. »Diese Fanny Burney ist so
scharf, daß sie sich noch mal selber schneiden wird.«
    »Aber es
ist lustig«, klagte Annabelle laut und klappte das Buch mit dem Titel
›Evelina‹ zu. »Und ich habe gerade erst angefangen zu lesen.«
    »Macht
nichts«, sagte Lady Wentwater in milderem Ton. »Guy ist zurück.«
    »Warum?«
Annabelles Augen richteten sich auf das Buch in ihrem Schoß. »Sucht er jetzt
weiße Sklaven?«
    »Sei nicht
unverschämt. Warum sollte einer weiße Sklaven wollen, wenn die britischen nur
20 Pfund einbringen und man bis zu 144 Pfund für einen guten schwarzen kriegen
kann.«
    »Britische?«
fragte Annabelle schwach.
    »Liest du
denn nie Zeitung? Neulich waren in der Bow Street ein paar ganz dumme Frauen.
Man hat ihnen freie Überfahrt angeboten, obwohl sie nur ganz wenig einbrachten,
oder aber sie sollten für ihre Verbrechen gehängt werden. Und weißt du, daß
ein Viertel von diesen dummen Frauen den Tod durch Erhängen gewählt haben?«
    »Vielleicht
war ihnen ein schneller Tod lieber als ein langsamer auf diesen furchtbaren
Schiffen«, sagte Annabelle schaudernd.
    »Nun gut,
diese Dinge sollen uns nicht den schönen Tag verderben. Guy ist jetzt ein
vermögender Mann. Er handelt nicht mehr.«
    »Wie
wunderbar! Ich hoffe, er schläft gut dabei.«
    »Ich
dachte, sein Handel sei das einzige Hindernis

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