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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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mit gespitzten Lippen die Andeutung eines
Kusses auf den Mund. Aber irgendwie kam sie von seinem Mund nicht mehr los, und
gegen ihren Willen wurden ihre Lippen ganz weich und erwiderten schließlich den
immer fester werdenden Druck seiner Lippen.
    Und dann
verlor sie vollkommen jede Vorstellung von Zeit und Raum. Sie tauchte immer
wieder in einem warmen, dunklen Meer unter und sie wollte nie, nie wieder an
Land kommen.
    Als er sie
schließlich losließ, war sie so außer sich, daß sie zitterte und ihn mit vor
Erregung geweiteten, tränennassen Augen ansah. Sie wunderte sich über den
ungewohnten Ausdruck in seinen Augen, plötzlich schaute er, als ob .. ihm etwas
bewußt geworden wäre. Als ob er eine Vorahnung hätte.
    »Hast du
schon einmal Walzer getanzt?« fragte er, wobei er ihr seinen Arm reichte und
auf den Ballsaal zuging. »N-nein.«
    »Würdest du
es gerne versuchen?«
    »Ich weiß
es nicht«, sagte Minerva leise und wunderte sich, wie ruhig seine Stimme klang.
    Sie
betraten den Ballsaal und mußten blinzeln, so hell strahlten viele Hunderte von
Kerzen.
    »Sylvester!«
    Lord
Sylvester murmelte undeutlich etwas. Eine üppige Rothaarige stand vor ihnen,
strahlend, aber mit stechenden Augen.
    »Miß
Armitage, darf ich Ihnen Mrs. Dattrey vorstellen. Miß Armitage ist neu in der
Stadt.«
    »Und ist im
Mondschein mit dem bösen Sylvester gewandelt? Schämen Sie sich, Mylord. Sonst
sind Sie doch nicht hinter unschuldigen jungen Mädchen her.«
    Lord
Sylvester schaute durch sein Monokel und betrachtete eingehend Mrs. Dattreys
grell geschminktes Gesicht.
    »Sie haben
recht«, antwortete er mit einem leisen Seufzer und ließ das Augenglas wieder
fallen. »Gewöhnlich beschränke ich meine Zuneigung auf Dirnen.«
    »Aber,
Sylvester«, rief Mrs. Dattrey mit schrillem Gelächter aus. »Sie müssen
wirklich sehr wütend sein.«
    Minerva
befreite ihren Arm aus Lord Sylvesters Griff und schritt würdevoll auf die
Anstandsdamen zu. Diese furchtbare Frau!
Sie hatte ihn Sylvester genannt. Und die Art, wie sie ihn
angeschaut hatte, ließ auf eine sehr enge Beziehung schließen. Und er hatte
gesagt, daß er gewöhnlich nur mit Dirnen
verkehrte. Er hatte es zugegeben! Und sie hatte sich mit so
einem Mann vertrauensvoll eingelassen. Bevor sie sich neben Lady Godolphin
niederlassen konnte, kam der dicke,
vor Gesundheit strotzende Harry Blenkinsop auf sie zu und forderte sie zum
Walzer auf. Minerva war zu zornig und zu erregt, um zu erklären, daß sie nicht
wußte, wie dieser Tanz ging.
    So ließ sie
es zu, daß er sie aufs Parkett führte, und erst als er seinen Arm um ihre
Taille legte, stieß sie erschrocken aus: »Ich kann diesen Tanz gar nicht!«
    »Ach, es
geht ganz einfach«, schnaufte er. »Lassen Sie sich nur führen.«
    Minerva
bemühte sich, nicht zu straucheln, als sie wieder und wieder herumgewirbelt
wurde. Er hob und senkte ihren Arm energisch im Takt der Musik, und sie merkte,
wie ihre leichten Röcke flogen und ihre Beine entblößten. Sie war froh, daß sie
blaue Seidenstrumpfbänder trug, die ihr Lady Godolphin umsichtig gegeben hatte.
    Natürlich
war es unanständig, die Strumpfbänder sehen zu lassen, aber – wie Lady
Godolphin betont hatte – wenn sie schon jemand sah, dann konnten sie genausogut
hübsch sein.
    Trotzdem
empfand Minerva den Tanz als ziemlich skandalös. Obwohl Mr. Blenkinsop den
vorschriftsmäßigen Abstand von zwölf Zoll durchaus wahrte, hatte Minerva das
Gefühl, daß der Walzer ein enger Tanz war. Viele Damen auf dem Ball waren
überdies halbnackt. Minerva hatte den Eindruck, als sei ganz London wild
darauf, so viel nacktes Fleisch wie möglich zur Schau zu stellen. Die
Zeitschrift ›Der Satiriker‹ schrieb denn auch: »Selbst die Kammerzofen
tragen keinen Unterrock mehr, damit Lakaien und Kammerdiener durch den
durchsichtigen Kattun ihre verborgenen Schönheiten entdecken können.«
    Minervas
Mißbehagen wurde noch größer, als sie Lord Sylvester sah, der gekonnt mit einer
hübschen Frau im Arm herumwirbelte. Auch das erstaunliche Bild, das Lady Godolphin
bot, die sich mit Oberst Brian wie ein tanzender Derwisch im Kreis drehte,
wobei sie ihrer Umgebung ein Paar muskulöse, mit fleischfarbenen
Seidenstrümpfen und scharlachroten Strumpfbändern verschönte Waden keineswegs
vorenthielt, war alles andere als dazu angetan, Minerva aufzuheitern.
    Aber ihr
Stolz kam ihr zu Hilfe. Lord Sylvester durfte nicht sehen, wie sehr es sie
bekümmerte, daß er so ein Frauenheld war. Sie mußte

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