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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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einer sorgfältigen Prüfung unterzog. Annabelle
platzte beinahe vor Ungeduld, als Mrs. Armitage die Zwillinge zum Ohrenputzen
wegschickte und verlangte, daß Deirdre ihre Haare herabhängen ließ und Zöpfe
flocht.
    Endlich
waren sie fertig für den kurzen Weg zur Kirche.
    Am Abend
vorher hatte es heftig geregnet, und das frische grüne Gras glänzte wie Seide.
Die Kühe standen zufrieden in den Pfützen auf der feuchten Weide, und eine
frische Brise trieb die letzten Blüten des Weißdorns vor sich her. Sie tanzten
in der Luft, bis sie schließlich im Schlamm der durchweichten Straße liegen
blieben. Annabelle mußte über ihren hübschen Schuhen Überschuhe tragen, weil
der Weg so schmutzig war. Sie überlegte, ob es ihr wohl gelang, sie
abzustreifen, bevor sie bei der Kirche ankamen.
    Im
Pfarrhaus war von morgens bis abends nur von Geld die Rede, oder vielmehr von
keinem Geld. Annabelle hatte es satt,
sich einzuschränken und das Geld zusammenzukratzen, wo doch der Verkauf von
einem von Papas wundervollen Jagdpferden die Lage entspannt hätte. Sie hatte
solche Lust, sich schöne Dinge zu kaufen und sich fein einzurichten. Guy war
reich, Guy war schön, Guy konnte ihr alles, was sie sich wünschte, bieten.
    Annabelle
fragte sich, ob sie zu hochmütig gewesen war, als sie ihn abgewiesen hatte. Ihr
Gewissen, das sich geregt hatte, weil er ein Sklavenhändler war, wurde nun von
dem heftigen Wunsch nach Geld und Sicherheit zum Schweigen gebracht.
    Die Kirche
war kühl und feucht, wenn man aus der Sonne kam. Wie immer tippten sich die
Bauern grüßend an die Stirn, als sie an Squire Radfords Kirchenbank
vorbeischlurften: Das Kirchenschiff war gefüllt mit alten Männern und Frauen,
die nicht lesen konnten und ihr Gebetbuch jedesmal erstaunt betrachteten. Eine
Menge linkischer junger Landarbeiter saß auf der Empore. Der Chor wurde, wie
üblich, vom Schmied auf der Baßgeige, vom Barbier auf der Klarinette, vom
Müller auf dem Fagott und vom Bäcker auf der Flöte begleitet. Sie alle waren
bereit, die Gemeinde beim Singen der Kirchenlieder und der alten Psalmen zu
unterstützen.
    Die
marmornen Grabplatten, die an verstorbene Angehörige der Familien Armitage und
Radford erinnerten, schimmerten matt im Licht, das durch die hohen Glasfenster
einfiel. Die bemalten Glasfenster waren zu Zeiten Heinrichs VIII. zerstört und
nie wieder ersetzt worden. Lediglich ein paar Scheiben vom Chorfenster waren
übriggeblieben, so daß sich auf dem von Minerva reich bestickten Altartuch
bunte Farbtupfer bildeten.
    Josephine
und Emily, die in Federhüten neben ihren Eltern saßen, machten viel Aufhebens
von sich, zappelten nervös herum und kicherten. Die Familie Armitage nahm zwei
Kirchenbänke ein. Mrs. Armitage kümmerte sich um die jüngeren Kinder auf der
einen Bank, Annabelle um die älteren auf der anderen. Lady Wentwater saß gegenüber
von den Armitages allein auf ihrer Kirchenbank. Annabelle betrachtete düster
die Stickereien auf ihrem Kleid und bemühte sich, nicht enttäuscht zu sein.
    Gedankenlos
ließ sie das Ritual des Gottesdienstes über sich ergehen, bis sie ein leichtes
Prickeln an ihrer rechten Wange spürte. Instinktiv wußte sie, daß Guy gekommen
war.
    Sie warf
einen verstohlenen Blick unter ihrer Hutkrempe hervor und errötete, als sie
einem belustigten Blick aus seinen blaßblauen Augen begegnete.
    Annabelle
war nicht mit Minervas übereifrigem Gewissen gesegnet – oder je nachdem, wie
man es nahm, geplagt. Und so fand sie ihre Gedanken auch nicht frevelhaft an
diesem heiligen Ort.
    Sie hielt
ihren Vater nicht für einen sehr frommen Mann und machte sich bisweilen über
seine Jagdleidenschaft lustig. Es hätte sie gewundert, wenn sie erfahren
hätte, daß sich ihr Vater auf seine ausgefallene Art mehr um seine Pfarrkinder
kümmerte als die meisten anderen Geistlichen.
    Die Predigt
des Pfarrers verlief in den üblichen Bahnen. Er begann mit dem bekannten Text
aus dem Matthäus-Evangelium: »Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie
wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.« Diese Stelle nahm er als
Ausgangspunkt für seine Feststellung, daß es für Mensch und Tier
lebensnotwendig sei zu arbeiten. Seine Jagdhunde zum Beispiel hätten ihre
Sommerrast verdient. Die Menschen sollten ebenso arbeiten, nämlich zusammen
und in gegenseitiger Abstimmung.
    »Für
Fuchshunde ist es typisch, daß sie einander helfen. Wenn einer von ihnen eine
Entdeckung macht, kommen die anderen herbeigeeilt, um zu schauen, ob

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