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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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Tochter.«
    Der Alte fällt leblos in die Gemüsebeete, und die Robos heben ihn unsanft auf.
    »Legt ihn hierher, auf die Terrasse«, sage ich.
    »Und nun zu dir. Nimm deine Mütze ab, ich will deine Visage sehen.«
    Was für Muskeln der Kerl hat, und wie groß er ist. Der könnte sich hier bei der kommenden Ernte nützlich machen. Er steht einfach nur da und rührt sich nicht. Ich mache ihm vor, was ich von ihm will. Er brummt. Dann reißt er sich die Mütze herunter, und obwohl sein Gesicht völlig entstellt ist, kann ich doch sehen, dass er wütend ist. Zeigt seine Zähne, und was für Zähne! Die Robos sind schon neben ihm mit ihren Pit-Booms – uralte Modelle, aber sie schießen recht gut. Da steht er. Armes Geschöpf. Eine Missgeburt, aber kein Idiot. Ich lese von seinen Augen ab, dass er den Ekel in meinem Gesicht erkennt.
    »Was wollt ihr hier?«, frage ich eilig. Alan ist aufgestanden.
    »Asyl«, ruft er kläglich.
    Ich lache. »Asyl im Exil«, sage ich. »Durchsucht sie nach Waffen, und schickt sie durch die chemische Schleuse. Ich will keine Krankheiten oder Mikroben hier.«

NIN
    »Aktion Eule«. Feine Aktion. Totaler Flop! Sie haben ihn nicht gefunden. Er ist eben schon weitergezogen, sagen sie, aber ich glaube ihnen nicht. Neila versichert mir, dass er noch nicht gefangen wurde oder getötet. Das wüssten wir. Ich glaube ihr nicht. Sie sind alle schwarz vor Ruß. »Hat es da gebrannt?«, frage ich beunruhigt. »War Mingus in dem Feuer?« Tara sagt: »Er ist ein guter Verstecker. Er ist ein Kämpfer. Er ist stark und klug.«
    »Das weiß ich«, sage ich. Aber abends muss ich manchmal weinen. Sie wollen Mama und Papa nicht melden, dass ich hier bin. Sicher sind sie krank vor Sorge um mich. Neila sagt, es ist besser so.
    Sie machen viel Wind darum, dass ich mit in die Abendandacht darf. Ich habe ein neues blaues Kleid, aber es gefällt mir nicht. Mein lebendes Kleid ist ohne Nährlösung eingegangen. Ich denke an den Wald und wie die Sonne durch die Blätter fällt und goldene Kreise auf dem welken Laub macht. Das Feuer brennt. Mingus steht auf der Lichtung und brüllt. Er hat zwei fette grüne Vögel gefangen, die ich gleich braten werde. Das Rupfen kann er besser als ich. »Hier bleiben wir!«, sagt er zu mir und macht Zeichen. Ich verstehe ihn natürlich. Ich sage nichts. Ich kann nicht sprechen, aber ich nicke auch nicht. Jetzt weiß ich, dass es schönwar dort im Wald mit ihm. Und da hocke ich in der allerletzten Reihe zusammen mit all den anderen andächtigen Frauen vor dem Altar. Sie singen, und Neila wirft mir einen glitzernden Blick zu, über die Schulter. Ich senke den Kopf. Tara aber zwinkert mir zu, und Daisy kneift mich.
    Daisy und ich melken die grauen Kühe. Sie prusten und schlagen mit den Schwänzen. Sie mögen das.
    Es wird bald Winter. Wir haben die Ernte eingebracht. Die Vorratshäuser sind voll. Sogar die Männer haben geholfen – unter Bewachung – bei der Nussernte und beim Heueinfahren. Sie sind lustig und machen alle möglichen Späße. Sie nennen Neila »die alte Schwarte« und die Frauen der Stufe sechs, die obersten der Kaste, »die Sumpfhühner«. Das gefällt mir.
    Sie ziehen sich unsere blauen Kleider an, die sie aus dem Waschhaus geholt haben, und laufen damit über das Stoppelfeld, wiegen sich in den Hüften, fächeln sich Luft zu und lachen schrill, wenn sie ihre Locken im Wind wehen lassen. In der Küche quietschen die Frauen und zeigen mir heimlich eine kleine Frauenfigur, die Männer aus Brot geformt haben. Sie ist fett und hat Haare aus Käsescheiben und Augen aus Haselnüssen. Neila zeigen sie so was nicht.
    »Bald dürfen wir uns einen aussuchen, der mal unser Kindsvater sein wird«, sagt Daisy. »Paaren noch nicht, aber wir können uns mit ihm anfreunden.«
    »Durch die Gitter?«, frage ich.
    »Durch die Gitter!«, sagt sie.
    »Keine Frau ist schwanger«, sage ich.
    »Warte nur, bis wir an der Reihe sind. Wir werden’s denen zeigen«, sagt Daisy.
    Neila kommt mit Neuigkeiten aus der Stadt zurück. Die Volksaufstände sind erneut aufgeflammt und werden blutig niedergeschlagen. Der Krieg läuft wie am Schnürchen, so meldet der Palast. Der Präsi ist auf der Jagd in Übersee. Bei den Aristos gibt es Leute, die von einem Umsturz reden. Im Viertel der Namenlosen ist ein gesundes Kind geboren worden. Der Präsi hat es adoptiert. Es ist bei einer Aristofamilie untergebracht. Angeblich ein Junge.
    »Jetzt wäre der Moment, um einen Staatsstreich zu wagen«, sagt Neila

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