Mini-Dame mit Maxi-Schnitt
Schauder.
Bei den Sprungbrettern
angekommen, kletterte ich vorsichtig auf das unterste und holte tief Luft.
Gerade als ich im Lauf von dem federnden Ende abschnellen, einen eleganten
Bogen durch die Luft beschreiben und sauber wie eine Messerschneide die
Wasseroberfläche durchteilen wollte, glitt mein Fuß auf irgend etwas Rutschigem
aus. Anstatt in sauberem Kopfsprung, platschte ich mit ausgestreckten Armen
bäuchlings aufs Wasser. Der Aufprall nahm mir die Luft, und mein Bauch fühlte
sich an wie Feuer. Außerdem beging ich den Fehler, einen kleinen
Schmerzensschrei auszustoßen, wobei ich allerhand Chlorwasser zu schlucken
bekam. Als ich endlich wieder an die Oberfläche gelangte, hatte ich nur den
einen Gedanken — möglichst schnell den Beckenrand zu erreichen und meine Pläne
für ein gesundes Leben in Santo Bahia schnellstens aufzugeben. Mit drei
schnellen Schwimmzügen war ich am Rand, hievte mich hinauf, griff nach dem
Handtuch und begann, mich abzurubbeln. Als ich mir das Wasser aus den Augen
gewischt hatte, sah ich die Gummipuppe auf mich zukommen.
Merkwürdig. Vor kaum einer
Minute war sie erst in das flache Becken getrieben, und jetzt war sie wieder
hier! Ich wischte mir wieder die Augen, sah noch einmal genau hin und hatte auf
einmal so ein leeres Gefühl im Magen. Wenn das die aufblasbare Gummipuppe war,
wie kam es dann, daß sie nicht in ihrem knöchellangen Abendkleid, sondern in
einem leuchtend blauen Minikleid steckte, dessen Saum kaum die obere Hälfte der
Schenkel bedeckte? Ich glitt ins Wasser zurück, schwamm auf die Gestalt zu, bis
ich einen Arm zu packen bekam und sie ans Ufer zog. Dann kletterte ich wieder
aus dem Wasser, kniete mich auf den Beckenrand und zog den Körper heraus. Am
Gewicht fühlte ich, was mir die Berührung des kalten Fleisches bereits gesagt
hatte — daß es sich hier nicht um eine Puppe handelte.
Ich legte den Körper rücklings
neben das Becken. Die weit geöffneten Augen des dunkelhaarigen Hausmannequins
starrten mich in erstarrtem Entsetzen an; ihr Mund formte immer noch einen
lautlosen Schrei. Jemand hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, von einem Ohr
zum anderen. Der riesige Schnitt sah aus wie ein dunkelrotes Halsband.
4
Die kühlen grauen Augen unter
dem kurzgeschnittenen grauen Haar starrten mich mit unverhülltem Abscheu an.
»Ich habe Sie mir bis zuletzt aufgehoben, Boyd«, sagte Leutnant Schell. »Das
muß wohl an meiner masochistischen Ader liegen .«
»Auf die Art bin ich wenigstens
zum Frühstücken gekommen«, tröstete ich ihn.
»Ich muß verrückt gewesen sein,
Sie an Harry Kempton zu empfehlen«, stöhnte er. »Boyd, der Mann, der eine
magnetische Anziehungskraft für Leichen hat; wo er hingeht, läßt er ein paar
Ermordete hinter sich zurück. Wissen Sie eigentlich, daß dies hier eine hübsche
stille Stadt ist? Ein paar betrunkene Touristen, hier und da ein ungedeckter
Scheck und ein gelegentlicher Ehekrach. Aber jedesmal, wenn Sie in Santo Bahia
auftauchen, wimmelt es von Leichen .«
»Ich hab’ die Tote rein
zufällig gefunden«, protestierte ich.
»Bei Ihnen glaub’ ich nicht an
Zufälle«, fauchte er. »Woher wußten Sie, daß sie da war ?«
»Das wußte ich gar nicht«,
verteidigte ich mich. »Es war wirklich reinster Zufall, daß ich als erster
schwimmen ging .«
»Nachdem Sie angeblicherweise die Nacht in der Kleiderkammer verbracht
haben«, höhnte er. »Freidel hat mir alles erzählt. Sie haben sich selber von
innen eingeschlossen, damit Sie den Raum jederzeit verlassen konnten .«
»Das hab’ ich aber nicht
getan«, sagte ich wütend. »Und warum hätte ich Stephanie umbringen sollen? Ich
kannte sie ja erst seit gestern .«
»Vielleicht hat man Sie dafür
angeheuert .«
»Kempton hat mich angeheuert —
und zwar auf Ihre Empfehlung hin .«
»Vielleicht hat Ihnen gestern
jemand einen besseren Vorschlag gemacht ?«
Wieder meldete sich dieses
unbehagliche Gefühl bei mir, das immer aufkam, wenn ich eine Zeitlang mit
Leutnant Schell gesprochen hatte; so mußte es sich anfühlen, wenn ein Specht
einem unablässig gegen die Stirn pochte. »Das ist angewandte Psychologie«,
sagte ich langsam. »Sie glauben kein Wort von dem Unsinn, den Sie hier verzapfen,
aber Sie hoffen, daß ich darauf reinfalle, es mit der Angst bekomme und mich
doppelt bemühe, den Mord für Sie aufzuklären .«
Er lehnte sich zurück und hob
die Augen zur Decke. »Sie gefallen mir! Wollen Sie wissen, wie ich Sie
einschätze, Boyd? Sie
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