Minus 0.22: Monster In Uns (German Edition)
warum bist du gemein zu den anderen? Haben sie dir etwas getan? Oder bist du einfach nur einsam und kennst keinen anderen Weg, mit Menschen umzugehen?“
„Ich bin keines deiner Schulkinder“, zischte der Kartenspieler.
„Und dass du einsam bist, streitest du nicht ab?“ Emma schaute den Kartenspieler an und wartete seine Reaktion ab. Als sich wieder einmal keine Regung zeigte, sprach sie ihn auf seinen Rosenstrauß an. „Das ist aber ein sehr schöner Rosenstrauß. Nicht gerade der schlauste Einfall ihn bei diesem Wetter herumzutragen. Die Blüten sind ja bereits gefroren, aber, ich bin sicher eines Tages wird er wieder auftauen und so schön sein wie eh und je.“
Als hätte sie einen Nerv getroffen, drehte sich der Kartenspieler zum ersten Mal zu Emma und sah sie mit seinen verletzten, grünen Augen an.
Emma legte ihre Hand auf seine Schulter. „Vergiss nie, dass du immer eine Entscheidung hast, egal wie verzwickt die Situation aussieht. Es gibt aus jeder Katastrophe einen Ausweg, ohne dabei andere Menschen zu verletzen. Es ist auch nie zu spät sich zu entschuldigen. Ich wüsste gerne, was dich so zerrissen hat, doch mit dir müssen schlimme Sachen geschehen sein. Würde ich von dir verlangen, dich an all deine Schmerzen zurückzuerinnern, täte ich dir damit auch keinen Gefallen. Die suchen dich und was sie mit dir anstellen, wenn sie dich in die Finger kriegen, will ich mir nicht ausmalen. Wie ich schon sagte: Für die richtige Entscheidung ist es nie zu spät.“
Sie nahm ihre Hand von seiner Schulter und ging davon.
Übrig blieb ein verwirrter Kartenspieler, der in Gedanken bei Selin schwelgte. Waren es nicht auch ihre Worte, die auf einen Frühling hofften?
Der Kartenspieler ballte die Faust und zerdrückte die zarten Stengel der Rosen in seiner Hand. Es sollte nie wieder Frühling werden. Stattdessen sollte er weiterhin in seinem eisigen Kerker gefangen bleiben, während er sich vergeblich nach dem Frühling sehnte. Wütend warf er in den Rosenstrauß in eines der Löcher im eisigen Fluss. Die Rosen trieben wie Seeblumen im stillen Eiswasser. Der Kartenspieler wand sich ab und folgte dem Weg bis hin zu Doktor Kaspers gläserne Praxis, die westlich des Ufers auf ihn wartete.
In der Praxis empfing Mantis endlich Elvis als neuen Patienten.„Tut mir leid für die Verzögerung“, sagte Mantis. „Nachdem ich endlich alle Hühner verarztet hatte, bekamen wir die Nacht einen Notfall. Das Halbeinhorn Manuel stürzte uns schwer verletzt in die Praxis. Eigentlich würde Manuel eher in Doktor Kaspers Aufgabenbereich fallen, aber ob ein Halbeinhorn mehr Mensch oder mehr Tier ist, da scheiden sich immer noch die Geister. Ich würde ja sagen, Manuel ist mehr Mensch, da abgesehen von seinem Kopf, sein Körper überwiegend menschlich ist.“
Doktor Kasper hielt sich im letzten Ecken seiner Praxis auf und schlug zornig seine, in Boxhandschuhen gekleideten, Fäuste aufeinander. „FALSCH! Wenn du Manuel ins Gesicht siehst, werter Mantis, NICHT DOKTOR Mantis, was siehst du dann?“
„Ein Einhorn?“, fragte Mantis.
„Frage geklärt?“
„Wenn du ihn so radikal als Tier einordnest, warum bekam er dann von mir die erste Wurmkur in seinem Leben?“
Der goldene Hahn Elvis sah verwirrt zwischen Mantis und Doktor Kasper hin und her.
Doktor Kasper erhob den besserwisserisch den Zeigefinger, für die Beteiligten unsichtbar, da er wie immer seine Boxhandschuhe trug. „Eine Wurmkur wird bei Halbeinhörnern erfahrungsgemäß erst in der Pubertät fällig“
„Manuel ist bereits neunzehn“, belehrte Mantis.
Doktor Kasper zuckte mit den Schultern. „Ja und?“
Mantis schnaufte und drehte sich zu Elvis. „Hoffe du kannst über die lange Wartezeit hinwegsehen. Dafür werde ich mir sofort deinen Flügel ansehen.“
Als sich Mantis vor den goldenen Hahn kniete, lief Doktor Kasper schreiend aus der Praxis.
„Was ist ihm denn wieder über die Leber gelaufen?“, fragte Mantis nüchtern. „Er kann es einfach nicht ertragen, wenn er im Unrecht ist.“
Doch auch Elvis reagierte ebenfalls panisch und drehte sich von Mantis weg. Er lief wie wild in der Praxis umher und versteckte sich hinter dem Tresen. Zitternd hielt er die goldenen Flügel über seinen Kopf.
Mantis sah dem Schauspiel verwirrt zu. „Nanu? Ich habe doch noch gar nichts gemacht. Sei kein Angsthähnchen und lass mich deinen Flügel untersuchen.“
Mit einem breiten Grinsen trat der Kartenspieler in die Praxis. Auch Mantis bemerkte endlich den
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