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Minuszeit

Minuszeit

Titel: Minuszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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glaube, er hat Probleme …«

 
12.
     
    Die Akte im Umschlag am Boden seiner Abfallschublade wurde dicker, aber nur langsam. Carsons Frustration näherte sich einem Punkt, wo er auf die Konsequenzen pfeifen und etwas provozieren würde. Ein Grund, der ihn davon abhielt, war, dass sein Gegenspieler gewalttätig reagieren könnte, wenn er entdeckte, dass ein Außenseiter von dem Projekt wusste – er erinnerte sich an Herbie Patterson und machte sich seine Gedanken. Der andere Grund war, dass Carson sich in der ihm eigenen zynischen Art als ein Patriot fühlte und noch immer nicht wusste, ob dem Projekt mit seinem Schweigen oder vielleicht mit seinen unwissenden Bemühungen um seinen Schutz am besten gedient sei.
    Die fragmentarischen Informationen, die er bei Gesprächen und im Verlauf seiner Nachforschungen sammeln konnte, füllten nur den Rahmen des Puzzlespiels aus; sie gaben keine Vorstellung von der Form und dem Gegenstand des Bildes.
    Mehrfach suchte er Pebbles auf, fand ihn aber jedes Mal so beschäftigt, dass es kaum für den Austausch von Grußworten reichte. Aber bei einer Gelegenheit glückte es ihm, Pebbles auf ein Bier in seine Wohnung einzuladen. Pebbles schwankte einen Moment und akzeptierte dann, obwohl er keinen Zeitpunkt festsetzte.
    Damit blieb nur Dr. Marshall als noch nicht ausgeschöpfte Informationsquelle.
    Am folgenden Sonntag fuhr er kurz nach dem Mittagessen hinüber, um sie abzuholen. Es war ein sengend heißer Tag, windstill und wolkenlos. Er hatte seinen Wagen frisch gewaschen und poliert, seine Sportjacke war nicht zu neu, aber von bester Qualität, seine helle Leinenhose gewaschen und gebügelt, und an einer Stelle neben dem Ohr hatte er sich sogar bis unter die Haut rasiert.
    Das Marshall-Haus war ziemlich klein, hatte aber einen großen Garten und wurde von geräuschvollen Kindern beherrscht. Carson war überrascht, als er entdeckte, dass es nur zwei waren. Der Bruder der Ärztin öffnete und lud ihn zu einem Bier ein, während er warten mußte.
    Gordon Marshall war der Herr des Hauses und nahm seine Pflichten ernst. Sein Vater war erst vor kurzem nach langwieriger Krankheit gestorben. Um den alten Mann besser pflegen zu können, war seine Schwester Jean bei der Klinik ausgeschieden und hatte bei Hart-Ewing die Stelle einer Werksärztin angenommen; dort hatte sie eine kürzere und regelmäßigere Arbeitszeit. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie zu Hause nicht mehr so viel zu tun, aber es war eine große Beruhigung, eine Ärztin im Haus zu haben, um so mehr, als Gordons Frau wieder ein Kind erwartete …
    Gordon Marshall sagte nicht, dass seine ältere Schwester in Gefahr sei, eine alte Jungfer zu werden. Er sagte auch nicht, dass das Haus für eine wachsende Familie zu klein war, dass seine Schwester und seine Frau Streitigkeiten hatten, in denen er gezwungen war, Partei zu ergreifen oder dass es ihm und seiner Frau unmöglich war, die nicht selten geladene eheliche Atmosphäre durch einen guten altmodischen Krach zu reinigen, ohne Jean zur Zeugin zu machen. Er sagte nichts von all diesen Dingen, aber Carson hatte gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und Untertöne herauszuhören.
    Nachdem Gordon Marshall die ganze Familiengeschichte vor Carson ausgebreitet hatte, sagte er lachend: »Ich hoffe, ich schrecke Sie nicht ab, Mr. Carson. Sie ist nicht boshaft oder verbittert oder so etwas, und im allgemeinen ist gut mit ihr auszukommen. Es ist nur, dass sie ihren Beruf ernst nimmt und sich nicht emotionell an einen Mann binden will. Vielleicht fürchtet sie nach den Erfahrungen mit der langen Krankheit unseres Vaters, dass ein Ehemann sich am Ende nur als ein weiterer Patient erweist, der gepflegt und versorgt sein will …«
    Er brach ab und blickte an Carson vorbei zur Wohnzimmertür.
    Als Jean Marshall hereinkam, war sie einfach gekleidet, sah aber nicht einfach aus. Die Sandalen waren nicht mehr als Sohlen, die von dünnen Riemen am Bein gehalten wurden. Ihre dunkelblaue Hose war nicht übermäßig eng, und ihr weißer Sweater war nicht salopp genug, um etwas zu verbergen. Die Ärmel waren über ihre Ellenbogen zurückgeschoben, und in einer Hand hielt sie einen in ein Handtuch gewickelten Badeanzug. Carson war überzeugt, dass sie mehr Zeit darauf verwendet hatte, ihrem Gesicht und Haar den Anschein nicht zurechtgemachter Natürlichkeit zu geben, als er gebraucht hatte, um seinen Wagen wie neu erscheinen zu lassen; und er mußte sich eingestehen, dass der Effekt bei ihr

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