Minuszeit
überzeugender war.
Als sie die Stadt hinter sich hatten und der Abzweigung zur Küste nahe kamen, erhob die Selbstlosigkeit ihr Haupt. Carson hatte die Absicht gehabt, mit ihr die Küste entlang zu fahren, dann einen Abstecher in den Klub zu machen, wo sie zu Abend essen könnten, und zuletzt die Klinik zu besuchen. Damit wollte er ihr beweisen, dass er sie aus anderen Gründen eingeladen hatte als nur zu dem Zweck, Zugang zum Krankenhaus zu finden. Sie aber beharrte darauf, dass sie zuerst zur Klinik fahren sollten, weil er sich über Pebbles Sorgen mache und den Nachmittag am Strand wahrscheinlich mehr genießen würde, wenn diese Sorge von ihm genommen sei. Carson erwiderte, dass es ihm nichts ausmachen würde, wenn sie die Klinik diesmal ganz vom Programm streichen und ihren Besuch auf das nächste Wochenende verschieben würden. Abgesehen davon, dass dies eine passende Geste war, entsprach es auch beinahe der Wahrheit. Aber sie blieb beharrlich, und um einen Streit zu vermeiden, mußte er zuerst zur Klinik fahren.
Die MacNaughton-Klinik hatte ein großes Tor, aber keine hohen Mauern. Allgemein gesprochen, hatten die Patienten weder die Fähigkeit noch die Neigung, den Krankenhausbereich zu verlassen, und die Bewohner der Außenwelt hatten kein Verlangen, hineinzugehen. Die Tore waren offen, die Einfahrt war frei und das Gelände menschenleer. Alle Aktivität konzentrierte sich um drei große Busse, die vor dem Hauptgebäude standen.
»Nehmen Sie die nächste Abzweigung rechts, dann die zweite links«, sagte sie. »Wir gehen durch die Hintertür hinein.«
Die Hintertür führte in ein Netzwerk heller, kühler Korridore, die den üblichen Krankenhausgeruch von antiseptischen Mitteln und Bodenpolitur ausströmten. Niemand war in Sicht. Sie wollten zum nächsten Geschoß hinauf, als sie jemand die Treppe herunterlaufen hörten.
Ein kleiner, drahtiger Mann in Hose und Sporthemd erschien auf dem Treppenabsatz.
»Doktor Morris!« rief Jean.
Der Mann geriet aus dem Rhythmus und übersprang vier und zwei Stufen statt drei und drei, strauchelte und brachte es mit knapper Not fertig, am Fuß der Treppe aufrecht zu landen.
»Doktor Marshall!« sagte das Männlein in einem erstaunlich vollen Baß. »Wie schön, Sie wiederzusehen! Was machen Sie hier? Und wer ist Ihr großer Freund?«
»Joe Carson«, sagte Carson und drückte ihm die Hand, »von Hart-Ewing. Ich wollte einige Informationen über einen Ihrer ehemaligen Patienten. John Pebbles.«
»Ist ihm etwas zugestoßen?«
Carson schüttelte seinen Kopf. »Es geht ihm sehr gut. Aber er hat Probleme, bei denen er sich aus irgendeinem Grund nicht helfen lassen will. Ich wollte mit jemandem sprechen, der ihn kannte, als er hier war. Das muss vor Doktor Marshalls Zeit gewesen sein, aber sie erbot sich …«
»Da sollten Sie mit Schwester Sampson sprechen; sie ist über den Fall am besten unterrichtet. Unglücklicherweise fuhr sie schon mit dem ersten Bus. Wenn Sie nicht mit uns einen Ausflug zum Strand machen wollen – und unter den Umständen würde ich es verstehen, wenn Sie das ablehnten –, müßten Sie heute abend wiederkommen.«
»Wir wollten selber zum Baden ans Meer«, sagte Carson, »also können wir geradeso gut das Geschäftliche mit dem Vergnügen verbinden. Aber ich sollte vielleicht erklären, dass ich nicht …«
Er hatte keine Gelegenheit mehr, zu erläutern, dass er kein Arzt war, denn Morris eilte bereits zum Ausgang und rief ihnen zu, dass sie dem letzten Bus folgen sollten, der in zehn Minuten fahren würde.
Auf dem Weg zur Küste hatten sie die Wahl, lebendig in ihren eigenen Körpersäften gekocht zu werden oder die Wagenfenster zu öffnen und den Staub der Busse zu schlucken, und weil eins so unerträglich war wie das andere, taten sie beides abwechselnd. Als sie den schmalen und abgeschlossenen Strand erreichten, gierte Carson nach einem Bad im kühlen Meer. Aber zuvor gebe es Arbeit zu tun, klärte Jean Marshall ihn auf, und er könne sich im Wagen umziehen, während sie sich erkundigen wolle, wie sie am besten helfen könnten.
Zuerst entrollten sie die bunten Sonnensegel und trieben ihre Stützen in den weichen Sand. Dann trugen sie die Liegestühle heran, klappten sie auf und stellten sie in Reihen unter die Sonnensegel. Anschließend wurden die Kranken aus den Bussen getragen, soweit sie gehunfähig waren, und vorsichtig in die Liegestühle gebettet, wo sie wie schlaffe rosa Säcke in Reih und Glied lagen. Die meisten von ihnen
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