Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
aufgeschossene Gestalt ging die enge Gasse entlang, die rechts von ihnen in den Rathausplatz mündete. »Das ist doch Xenias Gehilfe!«
Tatsächlich! Unten lief der Mann, der sie im Sommer zusammen mit Xenia und dem Vizeratsvorsitzenden verfolgt hatte.
Mira hätte ihn fast nicht erkannt. Hatte er breitere Schultern bekommen? Nein, er lief nur mit aufgerichtetem Oberkörper und trug einen gut geschnittenen, langen schwarzen Mantel und einen leuchtend roten Schal. Seine Füße schlurften nun nicht mehr über das Pflaster, sondern er legte seinen Weg mit energischen Schritten zurück. Der Klang seiner Stiefel hallte über den Platz. Unter den Arm hatte er eine Aktentasche geklemmt und machte einen äußerst beschäftigten Eindruck.
»Wo will er denn hin?«, fragte Rabeus verblüfft.
Der Junge blieb vor der Rathaustür stehen, die Aktentasche in seinen rot gefrorenen Händen. Er sah verärgert aus, kaute hin und wieder auf seinen Fingernägeln herum und schien ungeduldig auf jemanden zu warten. Mira sah sich um. Da! Aus einer Seitengasse neben dem Rathaus kam ein Mann in einem eleganten Mantel. Er trug eine Krawatte und gesellte sich zu dem Jungen, der ihn mit einem knappen Nicken des Kopfes begrüßte. Auch diesen Mann hatte Mira schon einmal gesehen. Er war auf der Versammlung der schwarzen Zauberer letzten Sommer zum Vizeratsvorsitzenden gewählt worden. Jetzt hatte er allerdings nicht mehr diesen selbstzufriedenen Gesichtsausdruck, den er damals zur Schau getragen hatte. Er wirkte nervös und fahrig und wesentlich kleiner als der Junge neben ihm, was wohl auch daran lag, dass er seinen Kopf einzog. Der Mann sprach heftig auf den Jungen ein. Der sah ihn mit grimmigem Gesichtsausdruck an und nickte ein paar Mal. Dann verschwanden beide in der finsteren und menschenleeren Gasse, die neben den hohen Backsteinmauern des Rathauses entlangführte.
»Los! Hinterher!«, hörte Mira Rabeus’ Stimme.
Die verwandelten Kinder flatterten von dem Brunnen auf und flogen dann in einigem Abstand über den Männern. Dabei gaben sie sich Mühe, nicht entdeckt zu werden. Das wäre allerdings gar nicht nötig gewesen. Die beiden schwarzen Zauberer waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie weder die beiden Amseln noch den schwarzen Raben mit der einzelnen weißen Feder bemerkten, die von Hausdach zu Hausdach hinter ihnen herflatterten und sich immer wieder hinter Kaminen und Schneegittern verbargen.
»Sie wird das nicht mögen!«, sagte der Junge und steckte sicheinen Kaugummistreifen in den Mund. Über seine Stirn lief eine lange dunkle Zornesfalte. »Gar nich’ wird sie das mögen, das sag ich dir.«
Es handelte sich tatsächlich um Xenias Gehilfen, dessen war sich Mira nun ganz sicher. Obwohl er jetzt einen teureren Mantel trug und seine Schultern durchdrückte, war das Nuscheln nicht aus seiner Stimme gewichen.
»Ihr habt das Mädchen entkommen lassen und jetzt auch noch diesen alten Zauberer. Das gibt Ärger, ganz viel Ärger!«
Der andere Mann sah zu Boden. »Ich war in dem Baumhaus. Aber da ist niemand, glaub mir, Albert! Nur Dreck, Spinnweben, Schnaps und eine alte Gitarre. Und es war eiskalt. Wenn da mal jemand war, dann muss er aber schon lange weg gewesen sein.«
»Aber wo soll er denn hin bei dieser Kälte?«, fragte Albert nervös.
Der Mann schlug seinen Kragen hoch. »Keine Ahnung. Vielleicht irrt er irgendwo in den Auenwäldern am Fluss herum. Es heißt, er sei völlig verblödet.«
Albert starrte den Mann an. »Ich habe Order, da noch mal suchen zu lassen. Und ich will diesen Thaddäus!« Er sah zu Boden und ballte die Hände zu Fäusten. »Der und diese elenden Mistgören. Wir ha’m mehr Arbeit mit ihnen als mit allen anderen zusammen.«
Mira, die sich hinter einem spitzen Dachgiebel verborgen hielt, wandte ihren Kopf den anderen zu.
Rabeus saß auf einer Regenrinne und Miranda drückte sich hinter einen leeren Blumenkasten. Die schwarzen Zauberer hatten Thaddäus nicht entführt, aber Corrado und Milena waren in Gefahr!
Der Mann mit der Krawatte seufzte. »Warum lassen wir diesen alten Idioten nicht einfach laufen? Ich verstehe nicht, was so besonders an ihm sein soll.«
»Sie will ihn eben«, sagte Albert und zog seine Aktentasche näher an sich heran.
Der Mann mit der Krawatte kratzte sich am Kopf. »Versteh mich nicht falsch. Ich finde nur diese Idee – alle weißen Zauberer zu vernichten – ein bisschen – na ja – sagen wir mal übertrieben.«
Albert sah ihn an. »Soll ich ihr das
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