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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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versonnenem Blick oft stundenlang das Seeigelhaus betrachtet haben. Dabei sei – so erzählen sich die Leute hier in der Gegend – das Fernweh in ihm erwacht. Eines Tages verließ er überraschend den Berg und wurde zu dem schillernden Weltenbummler, den wir alle kennen.«
    »Beim Lesen seiner Reiseberichte habe ich ihn mir immer als  Mann von Adel vorgestellt.«
    Múria lächelte. »Ich weiß. Das ist nur eine von vielen Harkoniaden, mit denen er die Welt an der Nase herumgeführt hat. An den Königshöfen von Mirad lässt sich mit einer ärmlichen Herkunft ja auch kaum Eindruck schinden.« Sie legte ihre Hände auf die Rücken der beiden Männer und sagte:
    »Aber jetzt kommt erst einmal herein. Wir müssen Pläne schmieden. Und außerdem wäre es doch schade, wenn das Wildschweinragout, das über dem Feuer hängt, im Topf anbrennen würde. Könnte ja sein, dass jemand von den Herren Hunge r hat.«
    Essen und reden könne man am besten am Herd, hatte Múria gesagt. Also fand man sich im »Halbrundzimmer« ein. Da b ei handelte es sich, wie der Name unschwer erkennen lässt, um einen halbrunden Raum, in dem sich, wie sie weiter erklärte, fast ihr ganzes Leben abspiele, auch ihre Patienten behandele sie hier. Die Feuerstelle war in der einzigen geraden Wand des Raumes e ingelassen, dicht neben dem Eingang. Selbigen erreichte man über eine Wendeltreppe, die gewissermaßen das Rückgrat des Seeigelhauses bildete. Das Gemach verfügte sogar über den Luxus eines Rauchfangs mit Abzug, welcher unter einer runden Regenkappe im Dach endete.
    Beim Betreten des Raumes fühlte man sich unweigerlich in einen uralten Wald versetzt. Dieser Eindruck entstand durch das Gemälde, das die nach außen gewölbte Wand gegenüber dem Kamin zierte. Es zeigte eine sonnendurchflutete Lichtung inmitten von knorrigen Stämmen. Das Bild wirkte unheimlich real. An diesem Platz im Grünen Gürtel habe sie früher gelegentlich einen Freund getroffen, erklärte Múria beiläufig. Ihre Worte weckten in Ergil die Erinnerung an ein anderes heimliches Treffen auf einer anderen Lichtung. Der Freund hatte sich später als Verräter entpuppt.
    Solcherart düstere Gedanken konnten sich in dem von vielen Kerzen erhellten Halbrundzimmer jedoch nicht lange halten, zu erstaunlich waren dieses Bild und all die anderen kleinen Dinge, von d enen manche sehr gewöhnlich wirkten, die aber in ihrer Gesamtheit das Gehäuse des lange verstorbenen Meeresbewohners in ein behagliches Heim verwandelt hatten. Auf dem Holzfußboden der Kammer lagen bunte Teppiche. In einem Winkel stand ein Spinnrad. Über dem Kamin hingen Töpfe und Pfannen. Manches erinnerte Ergil an die Hütte im Großen Alten: die zum Trocknen aufgehängten Kräuter unter der Decke, deren Duft er zuvor schon in Múrias Kleidern gerochen hatte, die Truhen an der Wand, der Tisch, die Stühle.
    Anstelle von Schwertern und Speeren hingen hier jedoch Regale voller Bücher an den Wänden und statt einfachem Holz- und Zinngeschirr gab es Steingut und sogar Porzellan. In diesem ausgefallenen Haus lebte unübersehbar ein Mensch mit einer Hand für Schönheit und Behaglichkeit.
    Múria schob ihre Besucher zum Tisch und hieß sie Platz nehmen. Sie habe nur kurz das Essen abzuschmecken und ein paar andere Kleinigkeiten vorzubereiten, bevor sie sich ihren Gästen widmen könne. Die Männer erhoben keine Einwände. Müde sanken sie auf die Stühle. Lediglich Schekira – sie hatte inzwischen wieder ihre wahre Gestalt angenommen – begleitete die Hausherrin zur Kochstelle und verfolgte stumm jeden ihrer Handgriffe.
    Ergil blickte gedankenverloren durch die kleinen Bullaugen zwischen den Seeigelstacheln auf ebenjenen Hang hinaus, den er und seine Gefährten kurz zuvor erklommen hatten. Von hier aus musste seine Amme die späten Besucher entdeckt haben. Meine Amme, wiederholte er im Stillen. Wie seltsam sich dies anhörte. Er konnte sich kaum vorstellen, dass diese Frau, deren Name völlig zu Recht »Vollkommenheit« und »Süße« bedeutete, ihm einmal die Windeln gewechselt, seine Nase geputzt und seine Tränen getrocknet hatte.
    Endlich trug Múria das Essen auf. Zum Glück hatte sie für mehrere Tage vorgekocht. Die drei Männer schaufelten den Eintopf in sich hinein, als müssten sie anschließend sofort zur nächsten einmonatigen Floßfahrt aufbrechen. Trotzdem schafften sie es dabei, mehr oder weniger verständlich zu sprechen.
    Zunächst wurde die Ve r gangenheit aufgearbeitet. Den Anfang machten Falgon

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