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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wendigen Schlachtross konnte er ihr nur mit Mühe folgen. Als sie abermals die Richtung wechselte und er seinen Hengst in eine enge Wende zwingen musste, hörte er hinter sich das dumpfe Getrappel mehrerer Pferde.
    Im Schatten eines wuchtigen Gemäuers brachte Múria ihr Tier plötzlich zum Stehen. Sie schwang ihr Bein über Kavithas Rücken und glitt aus dem Sattel, als hätte sie in ihrem Leben  nie etwas anderes getan. Twikus zerrte an Feuerwinds Zügeln, um seine Amme nicht über den Haufen zu reiten.
    »Steig ab, schnell!«, drängte sie. Er gehorchte.
    »Befiehl Feuerwind, meiner Stute zu folgen.«
    »Wa s s ol l ic h tun?«
    Anstatt ihre Anweisung zu wiederholen, raunte Múria ihrerseits Worte in eines von Kavithas Ohren. Die Stute hatte den Kopf gesenkt und sah tatsächlich so aus, als höre sie aufmerksam zu.
    Twikus fühlte sich überfordert. Er war ein Jäger, aber kein  Pferdeflüsterer.
    »Ich mach das schon«, sagte unvermittelt Schekira und flatterte auf den Kopf des Hengstes.
    Im nächsten Moment galoppierten die beiden Pferde mit dem  Eisvogel davon.
    Das Getrappel vom anderen Ende der Gasse wurde lauter. Múria eilte mit zwei schnellen Schritten unter den
    Rundbogen eines Alkoven, der in der sonst glatten Hauswand wie ein zugemauertes Tor aussah. An der gelblich schimmernden Wand wirkte sie in ihrem nachtblauen Mantel wie die Silhouette einer Fledermaus vor dem Mond. Umso unverständlicher war für Twikus ihre nächste Anweisung.
    »Komm her zu mir!« Sie streckte ihm den linken Arm entgegen.
    Seine Miene verriet Zweifel, doch er fügte sich. Kaum war er an ihrer Seite, umhüllte sie ihn mit dem weiten Mantel, als wäre sie eine Glucke, die ihre Brut unter ihre Fittiche nimmt. Der Prinz musste sich ducken, weil Múria darauf bestand, sogar seinen Kopf zu bedecken. Erst danach zog sie sich selbst die Kapuze über das honigfarbene Haar.
    »Sei jetzt ganz still!«, flüsterte sie.
    Die Verfolger näherten sich aus der Nachbargasse.
    Twikus’ Hand legte sich auf den Blütengriff des gläsernen Schwertes, das wie ein Gürtel seinen Leib umschlang. Er spürte, wie dessen Macht ihn zu durchströmen begann.
    »Lass das!«, zischte Múria. »Ich kann meine Kraft nicht entfalten, wenn du Zijjajim erwachen lässt.«
    Unwillig ließ er das Schwert wieder los und jammerte: »Was hast du vor?« Er fühlte sich wie auf einem Präsentierteller.
    »Vertrau mir. Und halt endlich den Mund.«
    Also schwieg er. Und lauschte. Dem Getrappel nach mussten die Reiter jeden Moment eintreffen.
    Unvermittelt spürte er einen leichten Schwindel. In seinen Ohren rauschte das Blut und er fühlte ein nicht unangenehmes Kribbeln. War es Múrias Nähe, die ihn taumeln ließ? Er legte seinen Arm um sie, so wie sie den ihren um ihn geschlungen hatte. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er es durchaus genossen, sich an sie schmiegen zu dürfen, aber unter diesen Umständen…
    Sie ist noch genauso warm und weich wie früher, schwärmte überraschend Ergil.
    Bist du jetzt völlig übergeschnappt?, erboste sich Twikus. Wir sind ein blauer Tintenklecks auf einer strahlend gelben Wand. Das Mondgesicht wird jeden Moment um die Ecke biegen und uns entdecken. Wie kannst du in so einem Augenblick…?
    Es wird uns nichts geschehen. Erinnerst du dich wirklich
    nicht?, unterbrach ihn sein Bruder.
    Das Hufgeklapper schwoll zu einem ohrenbetäubenden Donner an. Die Reiter waren da. Twikus konnte sie nur durch ein kleines Luftloch sehen, das Múria ihm gelassen hatte. Ganz vorn bog ein braun - weiß g eschecktes Pferd in die Gasse ein. Der Fettwanst im Sattel hatte ein rundes Gesicht, das wie ein weißer Laib Ziegenkäse aussah. Danach folgten drei weitere  Männer: zwei dunkelhaarige, ein blonder, alle vollbärtig und in grobes Zeug gekleidet.
    Während Twikus, von Múrias Armen umfangen, durch das Guckloch spähte, wich mit einem Mal die Sorge vor der Entdeckung einem anderen Gefühl: Geborgenheit. Er war völlig benommen, weil ihn der Stimmungswechsel dermaßen überrumpelt hatte. Jetzt konnte er seinen Bruder verstehen. Die Erinnerung war zurückgekehrt! Nein, nicht der ganze dunkle Schleier hatte sich von seinem Gedächtnis gelüftet, sondern nur ein Zipfel. Plötzlich waren sie wieder da, die warmen Stunden in den Armen seiner Amme. Ausgerechnet in diesem Augenblick höchster Gefahr fühlte er sich in seine früheste Kindheit versetzt. Während er schweigend in Múrias Duft von Geißblatt, Minze und Veilchen schwelgte, durchlebte er längst

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