Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
dritten Mal auf Erkundungsflug. Man könne ja nicht wissen, ob sich ihr die Insel oder zumindest der Sternenpfad zeige, erklärte sie. Immerhin seien Sirilim und Elven verwandt.
Dormund hatte die Sturmlampe kurz nach dem Landfall gelösch t. Besser so, meinte er, damit man keinen Stern übersehe, der möglicherweise irgendwo durch die Wolken luge. Aber diese Neumondnacht schien die schwärzeste zu sein, die es je gegeben hatte.
Ergil fühlte zunehmend Panik in sich hochkriechen. Die Zeit zerrann ihnen zwischen den Fingern. Er schloss die Augen und wandte das Gesicht nach oben. Seine Hand umklammerte Zijjajims zusammengeklappten Blütenknauf. Nein, das Schwert konnte ihm in diesem Fall nicht helfen, das wusste er, aber es flößte ihm Ruhe ein, half ihm beim Nachdenken.
Wenn er sich nicht verzählt hatte, dann begann in wenigen Stunden der siebzigste Tag nach der Überquerung der Brücke Wankelmut. Damals hatte er Dinge sehen können, die für Dormund und Falgon unsichtbar waren. Konnte er nicht hier und jetzt mit demselben Sinn die Wolken durchdringen, das Licht der Sterne zu sich herabholen? Der Gedanke erschien ihm schlüssig, aber über ihm blieb alles schwarz.
Als sein Nacken zu schmerzen begann, gab er den Versuch auf und rief Twikus um Hilfe an – de r hatte sich in den letzten Stunden auffällig unauffällig verhalten.
Tatsächlich wusste auch er keinen Rat, sondern antwortete nur, vermutlich um überhaupt etwas zu sagen: Kannst ja die Wolken zur Seite blasen.
Die Sache ist zu ernst, um darüber zu scherzen, erwiderte Ergil gereizt.
Das weiß ich selbst.
Múria hat behauptet, nur wir könnten den Sternenpfad sehen.
Na toll!
Das bedeutet doch… nicht die Augen allein bringen die Brücke zum Vorschein.
Wirst du jetzt wieder philosophisch?
Denk doch mal nach, Twikus. Darin muss die Lösung stecken. Ich spür’s…
Vielleicht sollten wir Himmelsfeuer aufwecken.
Nein, das gläserne Schwert ist gut im Kampf gegen Böses, aber wir suchen etwas, das auf die Seite des Lichts gehört.
Deshalb ja auch der Sternenspiegel.
Wie meinst du das?
Der Name des Sees. Was sagte Múria? »Nur im Spiegel zeigt sich das Unsichtbare…«
Das ist es!
Was ist was?
Ich Dämling habe die ganze Zeit in den Himmel gestarrt. Dabei steckt die Lösung des Rätsels in dem Namen des Sees. Du bist ein Genie!
Sollten w ir nicht zuerst ausprobieren, ob die Sache funktioniert, bevor du Gerüchte in die Welt setzt?
Du hast Recht. Wir machen’s wie bei der Wankelmut. Bist du bereit?
Ich warte schon seit Stunden.
Vielleicht sollten wir Múria…
Mit ihr Händchen halten? Das können wir immer noch. Jetzt leg schon los!
Abermals konzentrierte sich Ergil und schloss die Augen. Bald spürte er, wie sich der Geist von Twikus mit dem seinen in Einklang befand. Ihre Sinne umschlangen einander wie die Stränge eines Taus und gewannen dadurch eine Stärke, die sie allein niemals hätten erreichen können. Ergils Gesicht war jetzt dem See zugewandt. Hinter den geschlossenen Lidern suchte er nach dem ersten Fünkchen Grün, an dem sich ihre Gabe entfachen konnte.
Dann sah er es!
Zuerst war es nur ein formloses Wogen, das er nicht gleich zu deuten wusste, bis er es als Widerschein des Wellengangs in seinem weit geöffneten Bewusstsein erkannte. Er suchte weiter. Jetzt fühlte er deutlich die Unterstützung seines Bruders, ohne mit ihm ein einziges Wort wechseln zu müssen. Kurz darauf verdichteten sich die Schwaden schwachen Grüns zu intensiver leuchtenden Flecken und schließlich wurden diese zu funkelnden Pünktchen. Anfangs waren es nur ein oder zwei Dutzend, aber dann wurden es hunderte… tausende!
»Ich se h e etwas«, flüsterte Ergil. Undeutlich nahm er herbeieilende Schritte wahr.
»Den Sternenpfad?«, hallte Múrias Stimme wie aus weiter
Ferne in sein Bewusstsein.
»Nein«, hauchte der Prinz. »Nur die Himmelslichter.«
»Aber da sind doch nur Wolken«, entgegnete B o mbo, »lauter verdammte…«
»Still, Kapitän!«, zischte Múria. Rasch ergriff sie Ergils Hand und schloss selbst die Augen. Kaum zwei Herzschläge später schnappte sie erschrocken nach Luft. »Das ist…!«
»Der Sternenspiegel«, antwortete Ergil leise.
»Und ich starre die ganze Zeit zum Himmel empor! Warte eine n Moment…«
Er spürte, wie der Druck ihrer Finger fester wurde. In gleichem Maß nahm das Leuchten hinter seinen Lidern zu.
Den Durchdringer überraschte diese Verstärkung seiner Sinne kaum noch. Múria »stützte«
Weitere Kostenlose Bücher