Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Rechte hielt das erhobene Breitschwert.
»Mach dich schussbereit«, flüsterte er zu Twikus. Der spannte die Sehne.
Dann riss der Waffenmeister die Tür auf und stürzte, die Klinge voraus, hindurch. Der Prinz folgte dichtauf.
Weil das Schutzgitter in der Decke fehlte, stand die Sonne wie ein gleißender Pfeiler im Raum. Twikus musste sich zwingen, nicht hineinzusehen. Geblendet wie er war, ließ er seine Pfeilspitze mal hierhin, mal dorthin zielen. Sein Herz raste. Ein in den Schatten lauernder Feind musste jetzt angreifen, wenn er seinen Vorteil nutzen wollte.
»Siehst du was?«, fragte der junge Jäger.
»Nur bunte Sterne«, antwortete Falgon.
Je mehr sich die Augen des P rinzen an das Zwielicht gewöhnten, desto ruhiger atmete er. Während sein Blick in Richtung Bug wanderte, schälten sich Einzelheiten aus dem Dunkel: Hängematten, ein mit Bast umflochtener Wasserkrug, eine Seekiste mit Quastenwerk und leinwandbezogenem Decke l, eine Tonkanne im Weidenkorb, ein Totengerippe…
»Da!«, bellte Falgon und riss das Schwert herum.
Vor Schreck ließ Twikus die Sehne los und der Pfeil schwirrte durchs Zwischendeck. Die Spitze fand ihren Weg durch die Rippen des Knochenmannes und blieb in einem Prallpfosten stecken.
Dormund war sofort in den Raum gesprungen und auch der Kapitän traf, mit gezücktem Säbel, inzwischen ein.
»Was ist passiert?«, rief der Schmied. Der Hammerkopf schwebte drohend über seinem Haupt.
Falgon lief, sich wachsam nach a llen Seiten umdrehend, zu dem Fund. Twikus folgte ihm mit neu gespanntem Bogen. Wenig später hatten sich alle an der Stirnwand des Quartiers eingefunden.
Bei aller Schauderhaftigkeit war es zugleich ein makaberkomischer Anblick. Die Knochen des Toten lagen nicht – wie seinerzeit in Ugard – wahllos über dem Boden verstreut, sondern das Skelett stand vor seinen Entdeckern, als wolle es sie freundlich willkommen heißen. Genau genommen hing es, denn der rechte Arm steckte bis zur Achsel in einer Schlaufe aus T a uwerk. Auf dem Boden lag ein Säbel.
»Also doch Fiederfische«, sagte Dormund.
Múria, die sich inzwischen der Lampe bemächtigt hatte, benutzte diese, um die sterblichen Überreste des Unbekannten genauer in Augenschein zu nehmen. Anstatt von dem wenig erbaulichen Anblick abgestoßen zu sein, murmelte sie:
»Erstaunlich! Seine Mörder haben gerade genug von ihm übrig gelassen, um ihn nicht auseinander fallen zu lassen.«
»Es sind doch nur Fische. Warum sollten sie so etwas tun?«, fragte Twikus.
»Wir erleben nicht z um ersten Mal, dass sie über mehr Verstand verfügen, als die Natur ihnen zubilligen mochte. Für mich sieht das hier wie eine Warnung aus.«
»Du meinst… von Wikander? Um uns von unserem Vorhaben abzubringen?«
Ein pochendes Geräusch ließ alle zusammenfahren. Es stammte aber nur von Bombo, der in den Schatten hinter dem Skelett eine weitere Entdeckung gemacht hatte. Seine Säbelspitze steckte in einem hölzernen Gegenstand auf dem Boden. Als er ihn mit der Waffe ins Licht zog, konnten ihn alle erkennen.
E s wa r e i ne behelfsmäßige Krücke aus Plankenholz.
»Permund?«, brummte Falgon. Er klang überrascht.
»Das macht Sinn«, sagte Múria grübelnd. »Stellt euch vor, Wikander hat ihn wirklich für seine Zwecke benutzt – ob Permund sich von ihm dingen ließ oder unfreiwillig i n seinen Bann geriet, sei einmal dahingestellt. Jedenfalls scheint er sein Mann in unserer Gemeinschaft gewesen zu sein, sein Auserwählter, wenn man so will. Er sollte unsere Reise zum Sternenspiegel vereiteln oder zumindest ausspionieren.«
»Ersteres hat e r mehr als einmal versucht«, warf Twikus ein.
Sie nickte. »Aber vergeblich. Also hat er seinen Herrn und Meister enttäuscht.«
»Und wozu sich der Großkönig in solchen Stunden der Betrübnis hinreißen lässt, ist ja hinlänglich bekannt«, brummte Falgon.
»Wie ich schon sagte: Es ist eine Warnung. Und natürlich eine Strafe. Mir fällt jedenfalls keine andere logische Erklärung ein, warum – und danach sieht es ja aus – nur Permund von den Fischen getötet wurde. Da wir nicht mehr auf dem Schiff waren, galt ihr Angriff ausschließlich ihm. Sicher, oben sind Blutflecken, die auf einen Kampf an Deck hindeuten, aber das ist ja auch zu erwarten, nach allem, was die Mannschaft bereits mit dem Schwarm durchgemacht hat. Offenbar haben die Fische dann schnell herausgefunden, wohin ihr Opfer geflohen ist. Sie sind durchs Oberlicht gebrochen, hierher, wo Permund
Weitere Kostenlose Bücher