Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Kurzer, kräftiger Wurfarm. Gut ausgewogen. Hat Falgon dir gezeigt, wie man solche Bogen baut?«
Twikus schwieg.
Seinen Oheim schien diese Verstocktheit zu amüsieren.
»Triga hat mir so manches über den Waffenmeister und seine Zöglinge erzählt. Ich habe es sehr bedauert, als meine Boten mir die Nachricht von seinem Tod überbrachten.«
Der König legte einen Pfeil auf die Sehne, spannte sie, ließ sie wieder locker, spannte sie erneut und sagte beiläufig: »Tritt doch mal ein Stück zur Seite, Edelwin.«
Die Bemerkung hatte dem Mann mit dem Dolch gegolten. Kaum war er zu Tusan auf Abstand gegangen, zischte ein Pfeil durch den Saal. Twikus schrie vor Entsetzen auf, aber sein Freund reagierte zu spät. Das Geschoss traf ihn mitten in die Brust.
Der Fährtensucher stand da wie ein vom Blitz geschlagener Baum: aufrecht, aber dem Tode geweiht. Mit einem Mal fuhr seine Hand zur Brust, packte den hölzernen Schaft und riss den Pfeil aus der Wunde. Rasch verfärbte sich der weiße Mantel blutrot. Tusan stand immer noch, blickte mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Thron und flüsterte nach einem unwirklich langen Moment: »Es tut mir Leid, mein Freund.« Dann brach er zusammen.
Das von Nisrah geschärfte Gehör des Prinzen vernahm ein helles Knacken, als Tusan dumpf am Boden aufschlug. Das Geräusch riss Twikus aus der Starre.
Er rannte durch die Halle zu seinem Gefährten und warf sich über ihn. »Du darfst nicht sterben! Tu mir das nicht an!«
Tusans Lippen bewegten sich, aber Twikus konnte seine Worte nicht verstehen. Schnell schob er se i n Ohr über den Mund des Freundes.
»Nimm den Pfeil«, hauchte der tödlich Verwundete. Twikus spürte die Spitze desselben in seiner Hand. »Ich habe ihn für dich… für Wikander…« Tusans Stimme verstummte. Das Licht in seinen Augen erlosch.
»Nein!«, brüllte Twikus und Ergil stimmte in sein Wehklagen ein. Unversehens fuhr der Prinz zum Thron herum, wo der König mit gezogenem Schwert stand, und schrie wütend:
»Warum habt Ihr das getan, Oheim?«
Wikander zuckte die Achseln. »Er hatte seinen Zweck erfüllt.«
»Beurteilt Ihr die Menschen nur nach ihrer Nützlichkeit? Dann gebt Acht, dass es Euch nicht bald ebenso ergeht.« Twikus schloss die Augen und ballte die Macht, die ihm kraft der alten Gabe verliehen war. Als die Umrisse der Halle hinter seinen Lidern grün aufleucht e ten, entfesselte er seinen Zorn.
Nur einen Wimpernschlag später spürte er ein kaltes Ziehen, so als würde ein Eiszapfen der Länge nach durch seinen Körper getrieben. Sein Angriff war wirkungslos von Wikander abgeprallt. Statt zu uraltem Staub zu zerfallen, gloste der Schemen des Königs wie die Kohlen in den überall herumstehenden Feuerbecken. Das Kristallschwert strahlte sogar blendend hell. Die orangerote Erscheinung im grünen Reich seiner Sinne ließ Twikus erschrocken die Augen aufreißen.
Wikander lachte. »Hast wohl gerade mit Schmerz
Bekanntschaft gemacht? Wie gefällt dir das?«
»Ihr habt ja keine Ahnung, womit Ihr gleich Bekanntschaft machen…« Der Prinz verstummte jäh, weil ihn überraschend Ergils Stimme streng zur Ordnung rief.
Holte ein, Twikus! Deine Rachgier stärkt nur die Macht seines schwarzen Schwertes. Du weißt doch, wie das Wächtermädchen aus der Halle des schlafenden Glanzes uns auf die dunkle Seite ziehen wollte. Sie sagte: »Räche deine Eltern!« Hilf lieber Tusan.
Tusan ist tot!, schrie Twikus verzweifelt in seinem Inneren.
Dank der Macht des Lichts, die uns gegeben ist, schläft er nur . Wa s wir für Falgon getan haben, ist mit Nisrahs Hilfe auch bei unserem Freund hier möglich. Aber sieh zu, dass die anderen nichts davon merken.
Twikus begriff erstaunlich schnell. Unauffällig ließ er die abgebrochene Hälfte des Pfeils in seinem Ärmel verschwinden. Als ergebe er sich in sein Schicksal, warf er hierauf den Kopf zurück, stieß einen Schrei der Verzweiflung aus und ließ sich wieder mit dem Oberkörper über seinen leblosen Gefährten fallen.
Die beiden verletzten wie auch die noch unversehrten Leibgardisten wagten es nicht, den trauernden Prinzen zu stören. Wikander ließ seinen blutenden Höfling hinter sich und durchquerte gemächlich die Halle. Er schien den Anblick des schluchzenden und vor ohnmächtiger Verzweiflung bebenden Neffen regelrecht zu genießen.
Der Prinz hatte inzwischen seinen Sirilimsinn mit dem des Bruders und der unterstützenden Kraft des Netzlings vereint. Im Zentrum seines Wirkens war nun
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