Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
keine richtigen Verletzungen mehr gehabt. Komisch eigentlich…«
»Du Dummerchen, das ist doch für einen Sirilo ganz normal.«
»Wieso?«
»Hast du nie darüber nachgedacht, weshalb die Männer und Frauen im Volk der Weisen so alt werden?«
»Falgon meinte, es läge an ihrer großen Lebenskraft. Deshalb kann kaum ein Gift einen Sirilo töten.«
»Das ist richtig. Und weil sie mit Mirads Gefüge eng verfaltet sind, unterläuft ihnen fast nie ein Fehltritt, der ein größeres Unglück nach sich zieht.«
»Aber wenn ein Blitz in einen B aum einschlägt, unter den ein Sirilo im Regen geflohen ist, oder ein Ast bricht plötzlich ab und fällt ihm auf den Kopf…«
Schekira lachte, als würde ein übermütiges Vögelchen zwitschern. »Obwohl das Blut deiner Ahnen aus dem Grünen Gürtel in deinen Adern f ließt, scheinst du ihr Wesen noch immer nicht zu verstehen.«
»Wie könnte ich, wenn niemand es mir richtig erklärt?«
Die Elvin schwirrte ganz dicht zu ihm hin und ihre Hand berührte seine Brust. »Du und dein Bruder müsst dort hineinlauschen. In eurem gespiegelten Herzen ist das ganze Gefüge Mirads zusammengefaltet wie ein seidenes Tuch in einer kleinen Schatulle. Auch die Lösung des Rätsels, das euch eure Natur erkennen lässt, befindet sich darin.«
Ergil und Twikus dachten, jeder für sich, einen langen Moment darüber nach. Gemeinsame Erinnerungen flogen wie Traumbilder an ihrem geistigen Auge vorüber. Ergil murmelte:
»Einmal stand ich unter einem Felsüberhang. Es regnete wie aus Kübeln. Du weißt schon: So wie es wohl nur im Großen Alten regnen kann. Plötzlich brach das Erdreich los. Irgendwie muss ich es schon vorher gespürt haben. Ich fühlte mich unwohl und verließ meinen Unterstand. Hätte ich nur etwas länger gezögert, wäre ich unter dem Geröll begraben worden.« Schekira schwebte etwas höher und streichelte die Wange des Jungen. »Und das war nur unbewusst. Stellt euch vor, was ihr in der Lage wärt zu vollbringen, wenn euch jemand in euren Fähigkeiten richtig ausbilden würde.« Sie landete wieder vor ihm auf dem Waldboden.
»Kanns t d u un s dari n unterweisen?«
»I c h? « Si e lachte.
»Sind wir drei nun miteinander verwandt oder nicht?«
»Doch, schon, aber die Elven sind nur sehr klein.«
»Das ist nicht zu übersehen.«
»Nein, ich will damit sagen, im Vergleich zu den Sirilim sind unsere angeborenen Fähigkeiten geradezu ver k ümmert. Du brauchst jemanden, der sich in der Kunst des Alten Volkes auskennt.«
»Meine Mutter hätte sie mich lehren können, wenn Wikander nicht…« Ergil biss sich auf die Unterlippe. Als er seine Fassung wiedergefunden hatte, fügte er traurig hinzu: »Sie war die Letzte der Sirilim. Jetzt ist das Vermächtnis ihres Volkes für immer verloren.«
»Vielleicht nicht ganz, mein Retter.«
»Wi e meins t d u das?«
»Ich habe heute früh, während du dich noch im Bett geräkelt hast, mit Falgon gesprochen und ihm erklärt, was du jetzt am dringendsten brauchst, nämlich einen, der dich zu deinen Wurzel n führt.«
»Und ? Wa s ha t de r Ohei m gesagt?«
»Er kennt jemanden.«
»Eine n Sirilo?«
»Nein, einen Menschen. Aber sie hat lange bei den Sirilim gelebt und ist in ihren Künsten sehr bewander t.«
»Sie?«
»Selbstverständlich. Um die Weisheit des Alten Volkes zu erwerben, bedarf es einer überaus großen Auffassungsgabe. Das können Frauen besser als Männer.«
»Versteh ich nicht.«
»Kein Wunder, du bist ja auch von einem Mann erzogen worden.«
Ergil musste Schekiras Worte erst verdauen, bevor er kleinlaut fragen konnte: »Und wer ist diese weise Dame, wenn ic h frage n darf?«
Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte die Lippen des Elvenmädchens. »Das soll dir dein Oheim am besten selbst erklären.«
Falgons Begeisterung war nicht auf Anhieb zu erkennen, als Ergil ihm den rotbraunen Hengst zeigte. »Hättest du kein anderes Pferd aussuchen können als ausgerechnet dieses?«
»Wieso? Es ist groß und kraftvoll, hat einen starken Willen und vermag schneller zu laufen, als du dir vorstellen kannst.«
»Schön und gut, aber es gehörte Triga.«
»Meinst du, das Pferd eines Verräters kann auch nur ein Verräte r sein?«
Falgon schnaubte. »Unsinn. Aber…«
Schekira kicherte und brachte ihn damit vollends aus dem Konzept.
»Aber was?«, hakte Ergil nach.
Der Waldläufer wand sich, konnte aber keine vernünftigeren Argumente für sein Missbehagen ins Feld führen als ein trotziges: »Der rote Gaul
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