Mirad 02 - Der König im König
sein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen. Sie ist die Tochter des Herrschers von Susan? Erinnerungsfetzen rieselten wie feuchtes Laub auf ihn nieder und blieben an seinem Bewusstsein kleben. Kaum deutlicher als zuvor fügte er hinzu: »Dann seid Ihr also eine Prinzessin. Das ist…« Er schüttelte den Kopf.
Ihre Antwort klang überraschend kühl. »Es ist nicht nötig, Euch vor mir niederzuwerfen, Herr…?«
Seine Augen hoben sich wieder, um direkt in die ihren zu blicken. »Ich bin Twikus von Sooderburg. Hat Euch tatsächlich noch niemand vom König im König erzählt?«
Er beobachtete ein niedliches Gekräusel auf ihrer Stirn. »Ich kann Euch nicht folgen, junger Herr.«
»Ich rede von Torlunds Söhnen. Den Sirilimzwillingen«, half er nach.
»Ihr seid…?« Jetzt wurden die Mandelaugen der Prinzessin noch größer, sie zog die Schultern hoch und ihre zweite Hand bedeckte zusammen mit der ersten den Mund.
Er nickte. »Wie ich schon sagte: Mein Name ist Twikus. Ich nehme mal an, mein Bruder Ergil hat Euch bereits gesehen oder von diesem Leibarzt sogar schon Euren Namen erfahren. Wartet…« Er überwand den zwischen ihnen verbliebenen Abstand und ergriff ihre Hand. Sie zuckte leicht zusammen, entzog sich ihm aber nicht. Twikus schloss die Augen, atmete tief und sah sein Gegenüber wieder an.
»Euer Name ist Nishigo, habe ich Recht?«
Wieder neigte sie ihren Kopf zur Seite, während sie ihn aus ihren Karneolaugen musterte. »So einem merkwürdigen Jungen wie Euch bin ich noch nie begegnet.«
Eine Weile hielt Twikus ihrem forschenden Blick stand. Aber dann rollte unvermittelt eine heiße Woge durch ihn hindurch. Eben noch war er der Durchdringer gewesen, der das wahre Wesen eines Geschöpfes erforscht und so dessen Namen aufgespürt hatte. Doch als Nishigos Lippen das Wort »Junge« geformt hatten, löste sie damit in ihm eine Verwandlung aus. Ihre Hand fühlte sich in der seinen plötzlich heiß an. Sämtliche Härchen seines Körpers richteten sich auf. Sein Mund trocknete schlagartig aus. Erschrocken zog er seinen Arm zurück.
»Verzeiht meine Dreistigkeit, Prinzessin.« Wieder verneigte er sich, um sich unauffällig ihrem Blick zu entziehen.
»Woher habt Ihr gewusst, wie ich heiße, wenn nicht der Leibarzt meines Vaters es Euch verraten hat?«, fragte sie. Ihre Stimme zitterte leicht.
Er hob das Gesicht gerade weit genug, um ihr in die Augen sehen zu können. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Leise erwiderte er: »Es ist eine Gabe.«
»Eine…? Dann kennt Ihr die Namen aller Menschen?«
»Sogar jeder Schöpfung auf dieser Welt, vorausgesetzt der Name ist Teil seines Wesens geworden. In Eurem Fall allerdings…« Ihn verließ der Mut.
»In meinem Fall…?«
Er schöpfte tief Atem und sah sie offen an. »Ich kenne Euch schon lange, Prinzessin.«
Nishigo wirkte überrascht. »Wie ist das möglich, König Twikus?«
»Ich habe von Euch geträumt.«
Sie wich einen Schritt zurück. »Wollt Ihr Euch über mich lustig machen?«
Er lächelte unglücklich. »Das steht mir fern. Vielleicht kennt Ihr ja die Geschichte von Torlunds Söhnen. Unsere Mutter Vania war eine Sirila. Von ihr haben wir die Alte Gabe des Schönen Volkes geerbt. Als mein Bruder und ich noch Kinder waren, schenkte uns Falgon – unser Ziehvater – eine Sirilimkette unserer Mutter. Seit diesem Tag besuchte uns in unseren Träumen wiederholt ein Mädchen mit kupferfarbenem Haar. Wir dachten, es sei… eine Elvin. I-Ihr wisst schon, diese…«
Überraschend sanft unterbrach Nishigo sein unbeholfenes Gestammel. »Ihr braucht mir nicht zu erklären, was Elven sind. Mein Vater nennt mich oft so: kleine Elvin. Selbstverständlich nur, wenn niemand uns zuhört.«
Twikus nickte. »Selbstverständlich.«
»Die in Susan ziemlich auffällige Haarfarbe verdanke ich übrigens meiner Mutter. Sie stammte aus dem Stromland und ist bei meiner Geburt gestorben.«
»Das tut mir Leid, Prinzessin Nishigo.«
»Sag Nishi zu mir. Das ist einfacher.«
Allmählich beschlich Twikus das bange Gefühl, noch gar nicht wach zu sein. Zuerst begegnete er diesem Geschöpf, das – er hätte es nie für möglich gehalten – noch wunderbarer als Múria war, und jetzt sprach es schon mit ihm, als wären sie seit Jahren befreundet. Stotternd drängte er darauf, auch mit seinem Eigennamen angesprochen zu werden, konnte aber nicht umhin, seinen Bedenken Ausdruck zu verleihen.
»A-aber… was wird Euer Vater dazu sagen, wenn ich seine Tochter Nishi rufe, ehe er
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