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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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später gemeinsam dem Sonnenaufgang entgegenfiebern.
    Twikus betastete den Verband an seinem Kopf. Nur wenn er direkt auf die Wunden drückte, fühlte er noch Schmerz. Er lächelte. »Warum eigentlich nicht?«
     
     
    Allmählich fand Twikus Geschmack an susanischer Tracht. Er war auf Nisrahs Vorschlag hin einfach in der Kleidung, die man ihm während seiner Ohnmacht angezogen hatte, in den nächtlichen Park hinausspaziert. An den Füßen trug er federleichte Stoffschuhe. Außerdem hatte man ihn mit dunklen Seidenhosen ausgestattet, die in der Taille von einem Band gehalten wurden, sowie mit einer Jacke, welche aus dem gleichen kostbaren Tuch bestand, vorne übereinander geschlagen und mit einem Seidengürtel verschlossen war. Das praktisch gewichtslose Gewebe umschmeichelte seine Haut wie ein warmes Bad. Ob dieser Aufzug ein Nachtgewand war? Twikus lächelte. Was kümmerte es ihn? Er hatte ja nicht vor, sich irgendjemandem zu zeigen. Und Nisrah – der Netzling hing im Umhang über seinen Schultern – war in Kleiderfragen sehr duldsam.
    Ohne Ziel und Eile schlenderte Twikus durch den Garten. Der Vollmond war wie eine Laterne, die ihr silbernes Licht über die weitläufige Anlage verteilte. Fremdartige Vogelstimmen hallten durch die Nacht. Einmal lief ihm ein Pfau über den Weg. Immer wieder eröffneten sich dem Wanderer neue Ausblicke auf die im Park verteilten Gebäude.
    Im Vergleich zum Palast des Mazars war die Sooderburg nur eine Fischerkate. Selbst im Licht des Mondes konnte sich Twikus des Zaubers nicht erwehren, der von den lang gestreckten Bauwerken mit ihren geschwungenen Dächern ausging. Während er zwischen dicken Matten aus Moos über die Kieswege des Gartens schritt, sah er meist nur Teile der eleganten Gebäude, weil Bambusstauden, künstliche Gebirge aus Felsbrocken und sich windende Kiefern seinen Blick verstellten. Was in den Lücken dazwischen zu erkennen war, wirkte bisweilen so bizarr wie Traumbilder. Gebannt blieb er stehen, als über einem der Satteldächer unversehens ein weiteres auftauchte, als wären die Häuser riesige Fische, die im schwarzblauen Meer der Nacht schwerelos übereinander schwebten.
    »Es sieht nur so aus, als würden sie fliegen«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Erschrocken fuhr er herum und erstarrte.
    Fünf oder sechs Schritte entfernt stand ein Mädchen. Nicht irgendeines. Es war die engelsgleiche Erscheinung aus seinen jüngsten Träumen; unwillkürlich fürchtete Twikus, sie könnte sich gleich wieder verflüchtigen. Aber diese Sorge erwies sich als unbegründet. Das Mädchen – es mochte in seinem Alter sein – war aus Fleisch und Blut und ließ nicht sehr viel Scheu erkennen. Im Gegenteil schien es sein offenmäuliges Staunen sogar als Einladung aufzufassen. Schmunzelnd näherte es sich ihm und blieb erst wieder stehen, als die zwei sich mit ausgestreckten Händen fast hätten berühren können.
    Die Frage, ob er in Nachtzeug durch den Park spaziert war, gewann für Twikus plötzlich eine völlig neue Dimension. Möglichst unauffällig zog er den Umhang, der Nisrah als Versteck diente, fester um seinen Leib. Er spürte einen Schwindel und meinte jeden Moment das Gleichgewicht zu verlieren.
    Das Mädchen war so anmutig, so voller strahlender Wärme, ja es war so unbeschreiblich schön wie…
    »… eine Elvin«, wisperte er.
    Der Kopf des Mädchens neigte sich ein wenig zur Seite, als wolle es dem Echo des Gesagten nachspüren. Sein langes gelocktes Haar strahlte selbst im fahlen Mondlicht wie gegossenes Feuer und die großen Mandelaugen glitzerten vor unverhohlener Neugier. Twikus bewunderte die grazile Gestalt, die von dunkler, matt schimmernder Seide umspielt wurde; sein Gegenüber trug Hosen wie er und darüber eine langärmelige, schmale, fast knielange, seitlich bis zur Taille geschlitzte Tunika, auf die ein glitzernder Kranich gestickt war. Sogar die nackten Füße des Mädchens schienen zu leuchten.
    »Was habt Ihr gesagt?«, fragte es.
    Twikus blinzelte, als müsse er sich selbst versichern, dass er nicht träumte. »Wer seid Ihr?«
    Eine zierliche Hand schob sich vor den schmunzelnden Mund. Das Mädchen kicherte. »Das hat Mujo Euch doch bereits erklärt.«
    »Wer?«
    »Der Leibarzt meines Vaters, des Mazars. Hoffentlich hat Euer Verstand nicht unter den Schlägen auf Euer Haupt gelitten.«
    »Eure Sorge beschämt mich«, murmelte Twikus, während er sich verneigte. Diese Respektsbezeugung war nur ein Ablenkungsmanöver. Er brauchte Zeit, um

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