Mirad 02 - Der König im König
Nishigo.
»Selbstverständlich. Gleich morgen…«
»Nein, jetzt«, unterbrach sie ihn. »Wenn du nachher meinen Vater besuchst, wird der halbe Hofstaat anwesend sein. Tausend Augen. Außerdem ist es jetzt dunkel. Ich möchte so gerne das grüne Leuchten sehen. Zeigst du es mir, Twikus?«
Die Prinzessin hatte ihre Bitte in diesen bettelnden Ton gekleidet, dem ihr Vater selten widerstehen konnte. Der junge König war dafür ebenso empfänglich.
»Meinetwegen«, sagte Twikus. »Du musst mir aber etwas versprechen, Nishi.«
»Und das wäre?«
»Du darfst nicht weglaufen, während ich das Schwert hole.«
Sie hob die Hand zum Schwur. »Großes Prinzessinnenehrenwort.«
Twikus lächelte. »Ich bin gleich wieder zurück. Warte auf mich, hörst du?« Er verschwand in der Dunkelheit.
Nishigo blickte zum Sternenhimmel empor. Die Nacht war weit fortgeschritten. Der Mond hing jetzt dicht über den Baumwipfeln. Hier und da schien sein Licht noch durch Lücken im Geäst und sprenkelte das Moos mit silbernen Flecken, andere Teile des Parks lagen bereits in undurchdringlichen Schatten. Die Prinzessin war ganz aufgeregt, gleich das »Himmelsfeuer« in dem Sirilimschwert zu sehen.
Plötzlich vernahm sie die Alarmglocken der Palastwache. Tagsüber, wenn die Leibgarde übte, hatte sie das Läuten schon des Öfteren gehört, aber nie in der Nacht. Was hatte das zu bedeuten?
Nishigo fühlte eine schleichende Angst in sich aufsteigen. Sollte sie in ihre Gemächer zurückkehren? Aber wer sagte denn, dass sie dort überhaupt sicher war? Außerdem – sie hatte Twikus versprochen hier im Garten auf ihn zu warten.
Aus der Ferne wehten aufgeregte Stimmen zu ihr herüber. Ganz in der Nähe lief ein Trupp Soldaten im Laufschritt vorbei – sie erkannte es am Geklapper der Rüstungen und Waffen. Rasch zog sie sich weiter in die Schatten zurück. Wenn nur Twikus endlich kommen würde!
Die Zeit schleppte sich zäh dahin und das Läuten der Alarmglocke wollte kein Ende nehmen. Mit einem Mal sah Nishigo, von Bambusstäben halb verdeckt, einen einzelnen Schemen. Lautlos bewegte er sich durch den Park. Sie trat aus dem Schatten heraus, um Twikus herbeizuwinken, zögerte dann aber.
»Prinzessin Nishigo?«, raunte der Schemen.
»Ja, Twikus. Ich bin hier«, erwiderte sie leise.
Die dunkle Gestalt kam näher. Dabei wurde sie größer, als Nishigo den König in Erinnerung hatte. Sie fühlte eine klamme Furcht.
»Wo hast du dein Schwert? Warum lässt du es nicht leuchten?«, fragte sie bang.
Endlich trat die Gestalt ins Licht des Mondes. Spätestens jetzt dämmerte der Prinzessin, dass es nicht der König war. Obwohl – der Schemen trug tatsächlich ein Schwert. Allerdings leuchtete die große Waffe nicht, sondern schien im Gegenteil nur aus Dunkelheit zu bestehen.
»Wer seid Ihr?«, hauchte Nishigo mit zitternder Stimme.
Die leise Antwort klang so kalt wie ein splitternder Eiszapfen und so bedrohlich wie ein Fluch. Sie bestand aus nur einem Wort.
»Kaguan.«
18
NÄCHTLICHE TREIBJAGD
Er hätte sich am liebsten in den Hintern getreten oder sonst etwas getan, um seinem Ärger Luft zu machen. Twikus hatte sich im Palastgarten verlaufen. Jetzt läutete die Alarmglocke schon eine Ewigkeit und er fand weder in sein Quartier noch zur Prinzessin zurück.
»Das gibt’s doch nicht«, zischte er voll ohnmächtiger Wut.
Aufdrängen will ich mich ja nicht, sagte eine Stimme in seinem Kopf.
Nisrah! Dich habe ich ganz vergessen.
Das wundert mich nicht. Die Prinzessin hat dir den Kopf verdreht, stimmts? Sie scheint ja ganz hübsch zu sein.
Scheint?, japste Twikus in Gedanken.
Bei der Auswahl unserer Gespinstlinge achten wir Weberknechte nicht so sehr auf Anmut und Grazie. Schönheit mag nichtig sein, aber wache Sinne, Ausdauer und Kraft lassen unseren Lebensknoten höher schlagen.
Endlich hast du alte Netzhaut dich verraten! Ich bin nur dein Packesel. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle. Der Alarm – ich habe da so ein ganz mieses Gefühl. Kannst du mir sagen, was näher liegt, die Prinzessin oder mein Krankenzimmer?
Warte…
Nisrah, wir haben keine Zeit für alberne Spielchen!
Ist ja schon gut. Ich habe verstanden. Du ziehst diese dünne Person deinem alten Umhang vor. Nimm den Weg da rechts. Der führt dich zum gläsernen Schwert. Es ist nicht mehr weit.
Danke!
Im Laufschritt folgte Twikus dem Kiesweg. Bald tauchte der Schattenriss eines lang gestreckten Gebäudes vor ihm auf. In der Dunkelheit ähnelten sich
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