Mirad 02 - Der König im König
außergewöhnlicher Schütze sein sollt, aber glaubt Ihr tatsächlich, Ihr könnt mehr bewirken als eine ganze Armee?«
»Es käme auf einen Versuch an. Leiht mir einen Bogen.«
Der Oberste erweckte nicht den Eindruck, als wenn er großes Zutrauen in die Fähigkeiten des Königs hätte, rief aber trotzdem einen der Bogenschützen herbei.
Twikus nutzte die Gelegenheit, um einen Blick zur Brücke zu werfen. Sein Herz verwandelte sich in einen harten Knoten, als er Nishigos angstverzerrtes Antlitz sah. Kaguan war gesichtslos und daher schwer einzuschätzen. Im Augenblick wechselte sein dunkler Schuppenkörper die Farbe, wodurch er fast unsichtbar wurde.
»Was habt Ihr vor, Zweivölkersohn?« Die kalte Stimme des Zoforoths ließ jetzt auch die letzten Soldaten verstummen.
Twikus dankte dem Schützen, der ihm seine Waffe überlassen hatte, mit einem Nicken. Dann wandte er sich ohne Hast zu dem Zoforoth um, spannte die Bogensehne und rief mit fester Stimme: »Wenn Ihr nicht sofort aufgebt, werde ich Euch töten, Kaguan.«
»Vorher stirbt die Prinzessin«, gab der Chamäleone zurück.
»Ein bedauerliches, aber wohl nicht zu vermeidendes Opfer. Wir wissen beide, dass es hier um einen wesentlich höheren Einsatz geht.« Twikus brach der Schweiß aus. Es kostete ihn alle Beherrschung, sich so abgebrüht zu geben.
Kaguan legte die schwarze Klinge an Nishigos Hals. »Ich warne Euch!«
Ergil, was soll ich tun?, rief Twikus verzweifelt nach seinem Bruder. Unwillkürlich ließ er den Bogen leicht sinken. Mit einem Mal hörte er Nisrahs Geistesstimme.
Tief schläft er. Sehr tief! Ihn wachzurütteln habe ich schon versucht. Leider ohne Erfolg.
Twikus stand dicht davor, in Panik zu geraten. Er hatte gehofft, Kaguan mit seiner Maske der Entschlossenheit zur Aufgabe zu bewegen. Aber das war ein kindlich dummer Gedanke gewesen. Was hatte Kira gesagt? Er solle seine Gabe benutzen, um dieser boshaften Kreatur ein für alle Mal das Handwerk zu legen? Aber wie soll ich das ohne Ergil tun? Es war ein lautloser Hilferuf.
Du bist nicht allein, erinnerte ihn Nisrah. Wenn du einen Pfeil durch die Falten der Welt lenken willst, wird dein Gespinstling dich stützen.
Einen Pfeil…? Aber Kaguan hat das schwarze Schwert. Wenn ich meine Gabe benutze, sehe ich ihn nur als dunkle Wolke. Einen Fehlschuss kann ich mir diesmal nicht erlauben, weil Nishigo…
Der Zoforoth hatte offenbar seine eigenen Schlüsse aus dem Zögern des Königs gezogen, denn er rief: »Ich schlage Euch einen Handel vor: das Leben der Prinzessin gegen freies Geleit für mich.«
Twikus fühlte ohnmächtige Wut. Wieder hob er den gespannten Bogen. »Euch kann man nicht trauen, Kaguan.«
Der Zoforoth lachte. »Das werdet Ihr aber müssen, Söhne der zwei Völker.«
Hilf mir, Nisrah!, flehte Twikus in Gedanken. Sein Geist tauchte in die grüne Faltenlandschaft ein, die sich im Raum und in der Zeit ausdehnte. Er suchte einen Durchschlupf, um den Pfeil direkt ins Herz des Zoforoths zu lenken. Seine Pfeilspitze wanderte in alle möglichen Richtungen.
»Ich warne Euch!«, drohte Kaguan. Er ahnte wohl, was dieses seltsame Herumgefuchtele mit der Waffe bedeutete.
Als der Pfeil steil nach oben zeigte, wurde Twikus endlich fündig. Nur mit seinem Geist konnte er im grünen Faltenwurf der Welt das Loch sehen. Es tat sich ein gutes Stück über den Köpfen des Zoforoths und seiner Gefangenen auf, war schmal wie die Pupille einer Schlange und ebenso schwarz. Twikus spürte das kalte Ziehen, das von dem Kristallschwert ausging. Er durfte sich auf keinen Fall ablenken lassen – doch plötzlich schienen seine Gedanken zu gefrieren.
Ich kann Nishigo nicht sehen!
Weil sie und der Zoforoth beide von der Aura des Sehwertes umgeben sind, sprach Nisrah aus, was offensichtlich war.
Aber ich könnte sie treffen oder sogar töten… Twikus spürte, wie ihn die Vorstellung zunehmend lähmte.
Lieber Freund, antwortete der Netzling traurig, was wird denn mit ihr geschehen, wenn du nicht schießt?
Kaguan bringt sie um. Da bin ich mir sicher.
Das befürchte ich auch.
Unbewusst kniff Twikus fest die Augen zu, um seine rebellierenden Gefühle im Zaum zu halten. Er musste sich einfach die beiden Körper des Zoforoths und der Prinzessin in der Wolke vorstellen und in diesem geistigen Bild auf die richtige Stelle zielen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
»Seid Ihr jetzt völlig übergeschnappt? Wollt Ihr Fledermäuse jagen?«, ertönte neben ihm General Koichis knarrendes
Weitere Kostenlose Bücher