Mirad 02 - Der König im König
Schwertstreich des linken, wobei er dessen Klinge durchtrennte. Er verzichtete darauf, die beiden niederzumachen, und lief einfach weiter, die Wendeltreppe hinauf.
Hinter sich hörte er noch eine Weile das leiser werdende Geschrei des Kommandanten, der sich wie ein wütender Pavian gebärdete.
Auf dem Rückweg zur Waschküche vernahm Kaguan laute Stimmen, Waffengeklirr und Stiefelknallen. Offenbar war inzwischen die ganze Palastwache auf den Beinen. Schnell erwog er seine Möglichkeiten.
Er konnte natürlich wie in Ostgard die Elemente gegen seine Feinde heraufbeschwören. Doch eine solche Maßnahme war sehr kräftezehrend. Hier hatte er kein Schiff, auf dem er sich ausruhen konnte. Er würde weiter fliehen müssen. Außerdem war der Ausgang dieser Strategie, wie er schmerzlich hatte erfahren müssen, ungewiss. Irgendwo in der Nähe mussten die Söhne der zwei Völker nur darauf warten, ihm wieder einen Pfeil aus dem Nichts zu senden – kaum etwas fürchtete Kaguan im Augenblick mehr.
Blieb ihm also nur, sich einen anderen Schacht zu suchen. Fraglich war allerdings, ob er jetzt noch so unbehelligt die Gitter an den Palastgrenzen würde überwinden können. Er hatte sich die Rückeroberung des schwarzen Schwertes eher still und unauffällig vorgestellt, jedenfalls ruhig genug, um nachher unbemerkt verschwinden zu können.
Unvermittelt verharrte Kaguan mitten im Lauf.
Vielleicht bekommen wir heute im Garten ja wieder unseren hübschen Nachtfalter zu sehen.
Die Worte des Soldaten Uba wehten durch den Geist des Zoforoths. Der Soldat hatte von Prinzessin Nishigo gesprochen, der Tochter des Mazars. Kaguan musste innerlich lächeln, weil er sich einer Lektion seines Gebieters entsann: »Furcht ist der ständige Begleiter dessen, der sich an Kostbares klammert.« Der Herrscher von Susan besaß nur dieses eine Kind. Nishigo war sein wertvollster Schatz.
Kaguan lief eilends in den Garten hinaus.
Nishigo konnte ihren Blick nicht von dem jungen König aus dem fernen Land wenden. Er war ganz anders als die Männer von Susan. Bei denen zählte eine Frau nicht viel. Sicher, man warb mit blumigen Worten um das schöne Geschlecht, aber diese Anstrengungen unterschieden sich nicht wesentlich von mühevollen Geschäftsverhandlungen, etwa zum Erwerb eines rassigen Pferdes.
Twikus hingegen respektierte sie, behandelte sie wie seinesgleichen. Nicht, dass er sich wie einer jener Freier benahm, die Nishigos Vater ihr mit erdrückender Regelmäßigkeit vorstellte. Die Burschen liefen wie herausgeputzte Gockel herum und übertrafen sich gegenseitig im geckenhaften Balztanz.
Der junge Soodländer dagegen war manchmal auf eine niedliche Weise schüchtern, dann aber wieder ungestüm, wenn er gegen etwas aufbegehrte, das seinem Verständnis von Recht und Unrecht zuwiderlief. Er hatte nicht verstehen wollen, warum der Leibarzt des Mazars keine Frau ausbilden durfte. Im nächsten Moment war der König wieder ganz sanft geworden und betrachtete sie auf eine Weise, dass ihr davon die Knie weich wurden.
Die beiden hatten lange miteinander gesprochen. Einmal war eine Patrouille der Garde vorbeigekommen. Manchmal machte sich die Prinzessin auf ihren »Mondspaziergängen« einen Spaß daraus, sich den Männern zu zeigen. Nicht so in dieser Nacht. Sie hatten sich hinter einer Bambusstaude versteckt, bis die Wachen außer Sichtweite waren. Nishigo wünschte, die Unterhaltung mit dem jungen König fände überhaupt kein Ende.
Zuerst hatte sie von sich erzählt, von ihrer verstorbenen Mutter Ebana, die aus einem stromländischen Adelshaus stammte, von ihrem einerseits strengen, dann aber wieder so gutherzigen Vater, von ihrem Wunschtraum, der erste weibliche Medicus von Susan zu werden. Der gute Mujo, der sich immer bärbeißiger gab, als er in Wirklichkeit war, hatte sie schon manches gelehrt. Selbstverständlich nur im Geheimen. Kürzlich hatte er Nishigo gelobt, für eine Sechzehnjährige wisse sie schon ausgesprochen viel über die Heilkunst.
Twikus schien ihr die Worte von den Lippen abzulesen. So jedenfalls sah es aus, wenn er unverwandt ihren Mund anstarrte, während sie sprach. Irgendwann war ihr dieses Beobachtetwerden unangenehm geworden und sie hatte ihn nach seinem Leben ausgefragt, damit zur Abwechslung er reden musste. Was sie daraufhin zu hören bekam, war phantastischer als die meisten Märchen, die sie kannte. Irgendwann kam Twikus auf das gläserne Schwert zu sprechen.
»Darf ich es sehen?«, fragte
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