Mirad 02 - Der König im König
Schollenmeer seinem Bruder gestellt hatte: Hat dir Múria nie erzählt, dass einige mächtige Sirilim sich und ihren Besitz in den Falten der Welt verstecken konnten? Die Zwillinge hatten später ausgiebig darüber gesprochen.
Twikus trank hastig einen großen Schluck aus seinem Schlauch. Das Wasser quoll aus seinen Mundwinkeln und rann ihm über Gesicht und Hals.
»Woran denkst du?«, fragte Múria ihn.
Er blickte abwesend auf seine Hände und murmelte: »Vermutlich an dasselbe wie du, Meisterin.«
Sie nickte. »Der Schwarm steht für die weißen Schiffe und was ein Kliff ist, haben wir heute alle gesehen: eine steil abfallende Felsenküste.«
»Man könnte auch sagen, eine Falte in der Landschaft.«
Falgon grunzte. »Macht es euch beiden eigentlich Spaß, uns wie Dummköpfe aussehen zu lassen?«
Múria schenkte ihm ein versöhnliches Lächeln. »Entschuldige, mein Lieber.« Dann bat sie Twikus: »Erzähle du deinem Oheim, was das alte Lied uns sagen will.«
Er trank einen weiteren Schluck, ehe er in die Runde blickte und sagte: »Bevor wir die Sooderburg verlassen haben, hatten Ergil und ich fast denselben Traum. Wir sahen unseren Palast nicht grau, sondern so strahlend hell wie den Knochenturm im Sonnenschein. Schekira hatte später erklärt, dass es sich um eine Vision gehandelt haben muss. Wovon wir zu träumen glaubten, konnte also wirklich sein. Vor tausenden von Jahren hatten die Sirilim auf der Insel Soodland einen Palast aus Drachenbein errichtet. Vor ihrem Weggang versteckten sie ihn in einer Falte Mirads. Und dort steht er immer noch.«
Falgon zog eine Grimasse. Alles, was er nicht mit eigenen Sinnen wahrnehmen konnte, bereitete ihm Unbehagen. »Willst du damit sagen, die Flotte der Sirilim könnte ebenso noch im Hafen von Silmao liegen?«
»Ich habe nur zu deuten versucht, warum Nishigo uns von dem alten Lied erzählt hat: Sie ›versteckten den Schwarm in grünen Kliffen, wo wartet er in Ewigkeit‹. Von vermodern ist da nirgends die Rede.«
Dormund kratzte sich am Hinterkopf. »Hat irgendjemand von euch eine Ahnung, wie man ein Sirilimschiff segelt?«
Nachdem Oramas einen Botenfalken mit der Nachricht von Nishigos Rettung in den Palast vorausgeschickt hatte, verbreitete sich die frohe Kunde in der Hauptstadt wie ein Lauffeuer. Als dann am späten Abend des folgenden Tages die Gemeinschaft des Lichts nach Silmao zurückkehrte, pfiffen bereits alle Spatzen die Namen der soodländischen Könige von den Dächern.
Ihre und der Prinzessin Ankunft geriet zu einem Triumphzug. Tausende von Menschen säumten die Straßen, beleuchteten für die Heimkehrer mit bunten Laternen den Weg, bewarfen sie mit kleinen, aus buntem Papier gefalteten Tierfiguren, jubelten und sangen.
Jetzt bist du ein Held, sagte Ergil zu seinem Bruder. Hast du es dir so vorgestellt?
Irgendwie schon, gab Twikus zu. Aber jetzt, wo sich mein Traum erfüllt, schmeckt er irgendwie fade.
Hört, hört! Wie kommt’s, Herr König?
Lästermaul.
Hab ich von dir gelernt. Jetzt mal ehrlich, Bruderherz. Bedrückt dich der Gedanke, dass uns das Kristallschwert erneut durch die Lappen gegangen ist, oder eher die Vorstellung, deiner hübschen Freundin bald Lebewohl sagen zu müssen?
Beides. – Kann man eigentlich nichts vor dir geheim halten?
Twikus hatte seit dem Aufbruch in der vergangenen Nacht ein Wechselbad der Gefühle durchlitten. Jetzt war er todmüde, machte sich immer noch Selbstvorwürfe, fühlte sich hundeelend, aber zugleich berauscht und himmelhoch jauchzend – er hatte, solange er an Nishigos Seite reiten durfte, die Kontrolle über den gemeinsamen Körper nicht abgeben wollen. Folglich brauchte er sich über Ergils Schlussfolgerungen nicht zu wundern.
Dessen Gedankenstimme klang versöhnlich. Wir werden den »ewigen Schwarm« finden, Twikus.
Ich bin nur so müde!
Fortwährend dos schönste Mädchen Mirads anzustarren ist eben ziemlich anstrengend.
Gefällt Nishi dir etwa nicht?
Natürlich tut sie das. Ich hab schließlich auch von ihr geträumt.
Doch nicht etwa…?
Ruhig Blut, Bruderherz. Im Gegensatz zu dir hatte ich noch keine Gelegenheit, mich in sie zu vergucken.
Twikus grinste unvermittelt Na, dann habe ich mein Ziel ja erreicht.
Ein Lachen ertönte in seinem Innern. Er schon wieder!
Inzwischen hatte das Gefolge des Mazars mit den soodländischen Rettern Nishigos die Zwei-Brücken-Pforte des Palastes erreicht und verabschiedete sich damit vom öffentlichen Gejubel. Obwohl Oramas von den
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