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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Meer glitt wie ein Delfin oder übers Land galoppierte wie ein Krodibo. Er stocherte ein wenig im Weltgefüge herum, aber bald wurde er sich einer unangenehmen Schwierigkeit bewusst.
    »Wie soll ich die Falten finden, in denen die Sirilim ihre Flotte versteckt haben, Inimai?«, fragte er, ohne die Augen zu öffnen.
    »Genauso wie vor drei Monaten, als du ihren Knochenpalast entdeckt hast«, antwortete sie wispernd.
    »Das war im Schlaf. Ich habe keine Ahnung, wie ich das angestellt habe.«
    »Oh! Dann wird es schwierig.«
    »Nicht schwieriger als der Versuch, mit einer Angel aus den Ozeanen der Welt einen ganz bestimmten Fisch herauszuziehen.«
    »Stell dir vor, du wüsstest, wo dieser Fisch geschlüpft ist, und hättest ihn seitdem verfolgen können. Wäre es dann immer noch unmöglich, ihn zu fangen?«
    »Du meinst, ich soll zum Ursprung zurück? In die Zeit, als die Sirilim hier an Land gingen? Das ist schon ziemlich lange her, Inimai.«
    »Es war für dich und deinen Bruder kein Hinderungsgrund, als ihr die Wächter unter der Sooderburg besiegt habt, um Dormund, Falgon und mich zu retten.«
    Ergil schluckte. Damals hatten sie mit der Kraft der Verzweiflung gehandelt. Aber Múria hatte Recht. Es gab keine andere Möglichkeit. Nur wenn er die Schiffe in der Vergangenheit fand und sich an einem von ihnen festklammerte, konnte er ihr Versteck aufspüren.
    Er flüsterte: »Wappne dich, Inimai. Es wird viel Kraft kosten.«
    Langsam erst, dann immer schneller und schneller glitt das Gewebe der Zeit unter ihm hinweg. Der Hügel, auf dem er und Múria standen, war zu einem Fixstern geworden, alles andere veränderte sich. Während Tage und Nächte so schnell wechselten wie der Fitigelschlag eines Kolibris, wurde Silmao immer kleiner. Die riesige Stadt schrumpfte zu einem Fischerdorf. Gleichzeitig vollzog sich eine Veränderung, mit der Ergil nicht gerechnet hatte: Der Fluss zog sich zurück.
    Eigentlich war es nicht verwunderlich. Wenn der Ban im Frühjahr die Ufer überschwemmte und fruchtbares Ackerland zurückließ, behielt er für sich stets einen Tribut ein, loses Erdreich, das er bis zu seiner Mündung trug. Hier lud er das braune Lehensgeld ab und im Laufe unzähliger Jahrhunderte war so die Flussmündung immer weiter in den Fjord hinausgeschoben worden. Das bedeutete, die Sirilim waren, sofern die Legende stimmte, an einer Stelle gelandet, die inzwischen weit im Landesinneren lag.
    Ergil folgte der sich allmählich zurückziehenden Mündung im Geflirre von Tag und Nacht und dem stetigen Wechsel von Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die Bucht wanderte eine Meile. Zwei. Nachdem sie vier Meilen ins Landesinnere gekrochen war, fehlte noch immer jede Spur von den Sirilim. Als die fünfte Meile schon fast vollendet war, entdeckte er etwas Überraschendes. Eine gleißend helle Siedlung.
    Die mit Farbe künstlich zum Leuchten gebrachten Häuser in Seltensund waren nichts gegen diese Gebäude. Sie strahlten, obwohl Ergil alles Übrige noch immer in sämtlichen Schattierungen von Grün wahrnahm, blendend weiß. Die fremdartig anmutenden Bauwerke waren kaum einmal eckig, sondern meistens rund, oval, den Wellen des Wassers nachempfunden, viele sahen aus wie die Blüten oder Fruchtkörper irgendwelcher Riesenpflanzen. Ergil ahnte, was er da vor sich sah. Es war die erste Stadt der Sirilim im Herzland.
    Als sich seine Aufmerksamkeit von den Häusern fort in Richtung Ufer bewegte, entdeckte er einen ausgedehnten, üppig wuchernden Garten. Im Zentrum des Parks befand sich ein kreisförmiger Hain und dessen Mittelpunkt bildete wiederum ein Wiesenrund, auf dem ein einzelner Baum stand.
    Von heftiger Neugier gepackt ließ Ergil seinen Geist über dem Wäldchen tiefer sinken, bis er die Pflanzen aus nächster Nähe sah. Es waren Ginkgos. Hunderte davon ließen ihre zweilappigen Blätter im Wind flirren. Ungeduldig eilte er zur Mitte des Hains, um dessen Herzstück genauer betrachten zu können.
    Der Baum besaß tief gespaltene Blätter. Es musste jener erste sein, den Jazzar-siril nach der Landung seines Volkes hier gepflanzt hatte, und wohl auch jener letzte, der von all den Goldfruchtbäumen noch übrig war.
    Ergil überkam ein Gefühl wohliger Geborgenheit, das ihn überraschte. Er verspürte das unbändige Verlangen, an diesem friedlichen Ort zu verweilen, aber er merkte auch, wie seine Kräfte bereits schwanden. Also ließ er seinen Geist wieder aufsteigen, flog dicht über die Ginkgobäume in Richtung Flussmündung, und was

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