Mirad 02 - Der König im König
zusammen.
Die Zeit glitt mit zunehmender Geschwindigkeit unter ihm entlang. Im Nu waren die grünen Gestalten zu verwaschenen Schemen verschwommen, die bald ganz verschwanden. Ergil wurde zu einem Teil des Viermasters. Er durchdrang das Schiff bis in die letzte Faser seines organischen Körpers. Und mit einem Mal verspürte er ein heftiges Ziehen, begleitet von einer starken Erschütterung.
Als wieder Ruhe einkehrte, löste er sich rasch vom Schiff, sickerte gleichsam aus allen Poren und schwebte weit genug in die Höhe, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Die Flotte war immer noch da und am Horizont konnte er die Sirilimstadt sehen. Er steigerte das Tempo, mit dem er in die Gegenwart zurückkehrte, ohne dabei von den Schiffen zu lassen. Während er den »Schwarm« durch die Zeit begleitete, wunderte er sich über die Landschaft in seiner Umgebung. Sie schien nicht mehr dieselbe zu sein, die er zuvor beobachtet hatte. Der Fluss schwemmte kein neues Land an, die Uferlinie war erstarrt.
Alles war erstarrt.
Ergil erschauerte. Erst als er rasend schnell in die Gegenwart enteilte, bemerkte er, auf eine kaum wahrnehmbare Weise langsam, einige Veränderungen. Offenbar hatten die Sirilim, als sie von diesem Ort aufbrachen, in einer gemeinschaftlichen Kraftanstrengung ihren gesamten Besitz dem raschen Wechsel des Werdens und Vergehens entrissen. Hier, in dieser stillen Falte am Rande der Zeit, ruhte nun alles wie im Winterschlaf: Der Rhythmus des Lebens und sogar der Zerfall waren fast zum Stillstand gekommen.
Immer wenn Ergil die Gegenwart erreichte, war es so, als lockere sich ein zuvor angespannter Muskel. Alles fühlte sich wieder normal und gelöst an. Was hatte er vorher zu Múria gesagt? Die Schiffe der Sirilim zu finden sei genauso, als wolle man einen ganz bestimmten Fisch angeln, der sich in irgendeinem der Ozeane tummelte. Jetzt, da er seinen Fang am Haken hatte, brauchte er nur noch Kraft und etwas Geschick, um ihn an Land zu ziehen. Unwillkürlich drückte er Múrias Hand fester.
Wie schon einmal, als sie gemeinsam die Meerschaumkönigin versetzt hatten, durchdrang er das Schiff von den Mastspitzen bis hinab zur Kielflosse. Er musste es als Ganzes fest umgreifen, so wie er das Heft seines gläsernen Schwertes zu packen pflegte. Als er sicher war, nicht irgendwelche wichtigen Teile übersehen zu haben, legte er seine ganze Kraft in den Sprung.
Der Mazar von Susan und die soodländische Gesandtschaft kämpften gegen ihre Zweifel an. Nachdem sie dem jungen König und seiner Geschichtsschreiberin etwa eine Stunde lang zugesehen hatten, waren hie und da erste Bedenken aufgekommen. Warum dauerte das so lange? Dann setzte sich das Paar ins Gras, wirkte dabei jedoch so entrückt, als merke es davon gar nichts. Eine weitere Stunde verstrich und noch eine dritte. Falgon machte sich bereits Sorgen um die Liebste und seinen Zögling. Was, wenn sie in diesem beunruhigenden Zustand gefangen blieben? Aber dann geschah plötzlich etwas überaus Wundersames.
In der Bucht unterhalb des Hügels entstand ein Flimmern, so als würden grüne Schneeflocken im Mondlicht glitzern. Schnell wurden in der anfangs gestaltlosen Wolke Umrisse erkennbar.
»Ein Schiff!«, hauchte jemand ergriffen.
Es war ein mächtiger Viermaster, wie die auf dem Hügel Versammelten ihn nie zuvor gesehen hatten. Für einen Moment sah er aus wie eine unstoffliche Erscheinung: durchsichtig und irgendwie unstet. Aber dann verschwand das grüne Leuchten und das Schiff schimmerte fahl im Licht der Hafenlaternen.
»Ich wusste, dass mein Herr es schafft«, sagte Popi, als wolle er damit alle Zweifler zur Buße aufrufen.
»Das Schiff treibt führerlos in der Strömung. Jemand sollte sich darum kümmern«, erklärte Dormund.
Allmählich kamen auch die anderen Staunenden zur Besinnung. Oramas gab Koichi einen Befehl, der ihn an Masake weiterreichte, welcher ihn einem Signalgeber mitteilte. Dieser führte eine Trompete an die Lippen und blies mehrmals eine kurze Tonfolge. Entlang der Bucht waren mehrere Boote postiert, von denen sich jetzt zwei aufmachten das weiße Schiff einzufangen.
Während die Aufmerksamkeit der meisten den Bergungsarbeiten galt, kniete Falgon bei Múria. Schekira hatte sich im Käuzchengewand auf Ergils Knie gesetzt und ließ ihn ihre Krallen spüren. Dadurch fand er schneller in die Wirklichkeit zurück.
»Wie geht es dir, mein Retter?«, fragte sie leise.
»Als hätte ich die ganze Welt durchquert, ohne ein einziges
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