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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ich’s doch geahnt! Du musst mir dringend helfen, Inimai.«
    Etliche Augenpaare an Deck richteten sich neu aus. Was folgte, war sprachloses Staunen.
    Da, wo sich eben noch ein Loch befunden hatte, stieg eine runde Wasserscheibe von etwa gleichem Durchmesser himmelwärts, ungefähr so dick wie die Monsterwelle hoch gewesen war.
    »O nein!«, jammerte Popi mit bibbernder Stimme.
    Auch Ergil musste gegen ein Gefühl der Niedergeschlagenheit ankämpfen. Er kam sich vor wie in einem riesigen Sarkophag, über den sich ein runder Deckel schob, um sie alle lebendig zu begraben. Was sollte die Silberginkgo gegen diese neue Bedrohung ausrichten? Zwar war sie im nassen Element so beweglich wie ein Fisch, aber fliegen konnte sie nicht – anders als die gigantische Wasserscheibe, die geradewegs Kurs auf das Schiff nahm. Es versuchte der Gefahr zu entkommen, indem es in Richtung Küste floh, aber damit begab es sich in eine Falle, aus der es kein Entrinnen gab.
    »Sollen wir den Segler wieder umlenken?«, fragte Múria ihren Schüler.
    »Hast du einen besseren Vorschlag?«
    Obwohl der »Sargdeckel« sich sehr schnell näherte, blieb sie gefasst. »Es dürfte nur schwierig sein, sich im Wasser irgendwo in Sicherheit zu bringen.«
    »Dann müssen wir eben einen Landeplatz am Ufer finden.«
    Sie machte nun doch eine etwas unglückliche Miene, ersparte sich infolge der Zeitknappheit aber den Hinweis auf das für einen Viermaster ziemlich ungeeignete Gelände im Gebirge.
    Beide schlossen die Augen und flochten aus ihrem Bewusstsein mit dem von Twikus und Nisrah ein vierfaches Band. Ergil übernahm die Führung. Mit erstaunlicher Leichtigkeit tauchte er in den grünen Faltenwurf Mirads ein und flog schneller als ein Sturmvogel nach Norden.
    Bald kreuzte sich sein Weg mit einem riesigen Schatten. Die Kometenschlange schoss dicht unter der Wasseroberfläche entlang, direkt auf die Silberginkgo zu. Auch das noch!, dachte Ergil und ließ seinen Sinn weiter auf das Gebirge von Harim-zedojim zustreben. Wenig später erreichte er das Ufer unterhalb einer schroffen Klippe, die so verästelt wie eine Koralle war. Am Strand gewahrte er eine schwarze Wolkensäule.
    Da ist Kaguan, sagte er im Geist.
    Ich sehe ihn, antwortete Twikus. Er singt gegen uns an. Am liebsten würde ich …
    … wie im Hain der Pyramiden eine große Dummheit begehen?, fiel ihm Ergil ins Wort.
    … ihm den Weg zum Kitora abschneiden, vollendete Twikus seinen Gedanken.
    Ergil biss sich auf die Unterlippe. Wenn er in dieser Situation auf etwas verzichten konnte, dann war es ein kleinlicher Streit mit seinem Bruder. Er wollte sich gerade entschuldigen, als hinter ihm Falgons Stimme erscholl.
    »Das gefällt mir überhaupt nicht.«
    Durch das sinnlose Gezänk war die Konzentration des Königs ohnehin schon dahin. Ein Brausen drang an seine Ohren und der Himmel verfinsterte sich. Ergil öffnete die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Vor Schreck schnappte er nach Luft. Der brodelnde Kreis aus Wasser schwebte genau über dem Schiff. Jeden Moment musste er darauf niedergehen wie ein Schmiedehammer auf eine zarte Silberbrosche – mit verheerender Wirkung. Ergil verspürte Zorn und brennende Scham, weil er sich so kindisch benommen und dadurch viele Leben in Gefahr gebracht hatte. Doch obwohl die Zeit für den rettenden Sprung durch die Falten der Welt wohl nicht mehr ausreichen würde, wollte er sich nicht ohnmächtig in sein Schicksal ergeben. Ehe sich sein Sinn indes erneut auf die Suche nach einem geeigneten Landeplatz in den Bergen begeben konnte, schlug Kaguan zu.
    Als hätte er unsichtbare Fäden durchgeschnitten, fiel das tosende Dach herab.
    Ergil presste Múrias Finger zusammen und während er sich sammelte, flüsterte er: »Steh mir bei, Inimai!«
    Die Wassermassen stürzten aus großer Höhe auf das Schiff. Daher blieb für die Personen an Bord genügend Zeit, sich aus dem Leben zu verabschieden. Manche sprachen ein stilles Stoßgebet. Andere bewunderten nur ehrfürchtig die Gewalt der sich brausend nähernden Fluten. Bei einigen – so auch bei Popi – war alles Denken zum Stillstand gekommen. Dann hatte der »Sargdeckel« die Mastspitzen erreicht.
    Überraschenderweise bedeutete dies nicht das Ende der Gemeinschaft des Lichts. Das Wasserrad donnerte rings um die Silberginkgo ins Meer, aber kein einziger Tropfen berührte das Schiff. Gischt spritzte wütend empor. Eine gewaltige Welle bäumte sich auf. Aber die weiße Schönheit, wie Smidgard sie zu nennen

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