Mirad 02 - Der König im König
ist so…« Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Ich hatte beinahe vergessen, wie leer sich die Welt anfühlen kann, wenn ein geliebter Mensch für immer daraus verschwunden ist. Erst Jazzar-fajim und jetzt…« Sie schluckte schwer und fügte mit bebender Stimme hinzu: »Keine noch so gut gemeinten Worte können diese Leere ausfüllen.«
»Auch wenn Ihr es nicht für möglich haltet, Herrin, aber ich empfinde Ähnliches. Ihr trauert um Euren Liebsten, aber ich um meinen Vater, die Brüder, Oheime und Vettern, die Kaguan ermordet hat. Sie alle, ebenso wie Falgon, starben letztlich im Kampf gegen Magos. Niemand hat ihren Tod gewollt und wir werden sie bestimmt noch lange vermissen, aber sie sind trotzdem nicht umsonst gestorben.«
Múria nahm wieder ihre Arbeit mit dem Verband auf. Um sich des hartnäckigen Trösters zu entledigen, sagte sie: »Und ich dachte, Ihr seid nur mit uns gekommen, um an Kaguan Vergeltung zu üben.«
Tiko brauchte einen tiefen Atemzug, um die Bemerkung zu verdauen. Worauf er überraschenderweise gestand: »Lange war das auch so. Aber im Laufe der letzten Tage ist etwas anderes dazugekommen, durch das mir mein Verlangen nach Rache immer unbedeutender erschien. Ich habe Freunde gefunden: zuerst Dormund, aber dann auch Falgon, die Könige, Prinzessin Schekira, Popi, sogar auf eine Weise, die ich schwer erklären kann, der Netzling Nisrah. Und Euch, Herrin. Ihr alle bildet eine Gemeinschaft, in der jeder für den anderen eintritt und alle gegen die Finsternis kämpfen. Ich betrachte es als große Ehre dazuzugehören. Und wenn es sein muss, werde ich wie Herr Falgon mein Leben opfern, um das Eure zu retten.«
»Darin habt ihr Susaner ja Übung«, versetzte Múria, doch im nächsten Moment bedauerte sie ihre bissige Bemerkung. Sie hob abermals den Blick und seufzte. Zu einem Lächeln konnte sie sich zwar nicht durchringen, aber hörbar sanfter fügte sie hinzu: »Verzeiht mir, Tiko. Ich bin so… durcheinander. Meine Seele schmerzt vor Trauer. Und die Sorge um Ergil und Twikus macht alles noch schlimmer. Aus lauter Angst vor weiteren Qualen tue ich ausgerechnet denen weh, die ich liebe und die mir helfen wollen. Danke für deine Anteilnahme, Tiko, und auch dir, Dormund, vielen Dank. Es ist schön zu wissen, dass die Welt doch nicht ganz so leer ist, wie sie mir im Augenblick erscheint.«
Für eine Weile hing jeder seinen mehr oder weniger trüben Gedanken nach. Als die Bandagierung des älteren der beiden Waffenschmiede abgeschlossen war, sagte er: »Mich würde schon interessieren, was du mit den Waggs angestellt hast.
Dieses Gedonnere und Gepolter… Hörte sich an, als hättest du einen ganzen Berg zum Einsturz gebracht.«
Múria hielt noch immer Dormunds schwielige Pranke und strich mit dem Daumen über einen Kratzer auf seinem Handrücken, welchen sie als Vorbeugung gegen Entzündungen mit einer braungrünen Tinktur gereinigt hatte. Nachdenklich antwortete sie: »Naja, so war es ja auch.«
»Ihr habt einen Berg eingerissen?«, fragte Tiko ungläubig.
Sie sah zu ihm auf. »Er war nicht besonders groß. Aber immerhin groß genug, um etwa hundert weitere Waggs unter sich zu begraben.«
»Und wie habt Ihr das angestellt?«
Múria war nicht nach Erklärungen zumute. Am liebsten hätte sie sich in die benachbarte Höhle verkrochen und ein paar Tage lang geweint. Aber sie wusste, dass dieses Kapitel der Chroniken von Mirad noch nicht abgeschlossen war. Die Tränen würde sie sich für später aufsparen, wenn sie die nötige Ruhe zum Trauern hatte. Jetzt galt es, die Gemeinschaft zusammenzuhalten und alles zu tun, um den Zwillingen den Rücken zu stärken. Also seufzte sie und begann zu erzählen.
Nachdem Schekira, Dormund und Tiko sich in die Klamm zurückgezogen hatten, war sie, Múria, den Waggs entgegengegangen. Auf dem Weg zum Eingang der Schlucht hatte sie ihren Sinn gesammelt, was ihr umso schwerer fiel, als sie unablässig an den Geliebten denken musste, den die Ungeraden getötet hatten. Trotzdem war es ihr rechtzeitig gelungen, das Geflecht aus Rissen und Spalten in der Felswand zu ihrer Linken im Geist zusammenzufügen, bis sie das Ende der Klamm erreicht hatte.
Auf dem Vorplatz formierten sich die Waggs gerade. Jemand schien ein Machtwort gesprochen zu haben. Offensichtlich waren die Anführer der Ungeraden nach den bisher erlittenen Verlusten vorsichtiger geworden. Alle Besonnenheit verflog allerdings, als sie die schutzlose Frau am Eingang der Klamm
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