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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ein.
    Grabesstille.
    Der Gedanke weckte Sorge in dem Knappen und diese führte zu der schon erwähnten Umfärbung des Zitterns: Das Rot wurde zurückgedrängt und was blieb, war das blaue, leicht violette Bibbern.
    Vorsichtig, um ja keinen Stein anzustoßen oder sonstige Geräusche zu verursachen, schlich sich Popi zu der Kluft, in der er zuvor den König hatte verschwinden sehen. Er lief zwischen eng stehenden, schroffen, hohen Wänden hindurch. Plötzlich öffnete sich vor seinen Augen ein weites Rund aus spitzen Felsnadeln. Unter ihm lagen ein pechschwarzer Kratersee und, im Zentrum der spiegelnden Fläche, der reglose Leib des Königs.
    Popis Zittern verschob sich wieder stärker ins Rote. Ängstlich spähte er nach allen Seiten. Wo war Magos? Und wo eigentlich Kaguan? Der Hasenfuß in ihm sagte: »Du bist wohl nicht bei Trost, da runterzugehen und dich in die Hand dunkler Mächte zu begeben. Sieh dir doch an, was aus deinem Herrn geworden ist!«
    Aber dann meldete sich ein anderer Ratgeber in seinem Kopf, der wie Ergil klang, als er sprach: »Jeder hat eine besondere Gabe – er muss sie nur entdecken und mit Umsicht gebrauchen. Und jeder hat seine Bestimmung – er muss sie nur annehmen und ihr in Weisheit folgen. Manche suchen ein Leben lang danach, aber ich bin mir sicher, du wirst nicht so lange brauchen.«
    Mit einem Mal wusste Popi, warum er vor genau einhundertunddreizehn Tagen zum Schildknappen der soodländischen Könige berufen worden war. Nicht, um die Ginkgonadel auf den Kitora zu schleppen. Jedenfalls nicht dafür allein. Hier, in diesem Kratersee, lag seine Bestimmung. Wenn die Könige tot waren, dann durften sie nicht in diesem schwarzen Maul zurückgelassen werden, sondern sollten ein ehrenvolles Begräbnis erhalten. Falls sie aber noch lebten…
    Popi wunderte sich ein wenig, als ihn seine Beine wie von selbst den Hang hinabtrugen, anfangs noch langsam und eher zögerlich, aber je weiter er kam und je länger der befürchtete Angriff der dunklen Mächte ausblieb, desto mehr verblasste das lähmende Rot und umso schneller lief er. Sogar das blaue Zittern spürte er bald nicht mehr. Im Gegenteil ließ ihn ein orangefarbenes Beben aufgeregt über das schwarze Eis eilen, welches matschig unter seinen Füßen spritzte – anscheinend hatte auf dem Kitora Tauwetter eingesetzt.
    Auf dem Weg zur Mitte des Kratersees klaubte Popi die Pelzmütze seines Herrn auf. Dann endlich erreichte er den König. Dieser lag in seltsamer Stellung auf dem nassen Grund, so als habe er eben noch gekniet und sei dann mit angewinkelten Beinen schräg nach hinten gekippt. Die rechte Hand des Königs hielt etwas fest, das sich bei genauerem Hinsehen als die Ginkgonadel entpuppte.
    Popi kniete sich neben seinen Freund. Als Erstes löste er die Kristallnadel aus dessen Hand und verstaute sie in seinem Mantel. Hiernach streckte er die Beine des Gefährten. Sodann führte er eine oberflächliche Untersuchung durch. Bis auf einen blutigen Kratzer am Handgelenk konnte Popi keine ernsteren Verletzungen entdecken. Was war mit dem König geschehen? Lebte er noch?
    Der Knappe zog seinen Dolch aus der Scheide, wischte die Klinge einige Male über den Ärmel, bis sie leidlich spiegelte, und hielt sie anschließend unter die Nase seines Herrn.
    »Sie beschlägt!«, flüsterte er. Ein sonnengelber Schauer durchflutete ihn. Und dann brach Popi in Jubel aus. »Er atmet! Er ist noch am Leben! Alles wird…«
    Ein schauerliches Knacken ließ ihn jäh verstummen. Sofort wurde aus Gelb wieder Rot. Das Eis bricht!, schoss es ihm durch den Kopf.
    Er packte den König unter den Achseln und zerrte ihn in Richtung Ufer. Derweil knirschte und knackte es immer häufiger unter seinen Füßen. Nach einigen bangen, scharlachroten Augenblicken erreichte er endlich festen Boden. Als Nächstes hörte Popi ein ohrenbetäubendes Krachen und der See brach nach unten weg.
    Schwarze Fontänen schossen in die Höhe. Das Gemisch aus Schollen und geschmolzener Finsternis zischte und spritzte, schwappte und ächzte; es dauerte eine ganze Weile, bis es einen einigermaßen stabilen Zustand erreichte. Anschließend stiegen aus dem nun gut hundert Fuß tiefer liegenden See zwar immer noch Blasen auf, aber es schien zumindest keine unmittelbare Gefahr mehr von ihm auszugehen.
    Popi riss sich die Mütze vom Kopf. »Auch Backe, das war knapp!«
    Hiernach widmete er sich wieder dem Bewusstlosen. Er zog sich den Mantel aus und löste von seinen Schultern den Umhang samt

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