Mirad 02 - Der König im König
Schnauze herabfahren.
Twikus, immer noch zielend, hörte ein hässliches Krachen. Das Breitschwert war bis auf die Kieferknochen durchgedrungen. Aber die Verletzung behinderte das Schneekrokodil kaum. Im Gegenteil. Jetzt wurde das riesige Geschöpf rasend vor Wut. Es brüllte wie ein Drache. Die Luft vibrierte. Weiterer Schnee rutschte von der Verwehung herab.
Der Räuber blieb besonnen genug, nicht blindlings gegen den Schwertkämpfer vorzugehen. Lauernd und immer wieder mit der mörderischen Schnauze schnappend, trieb es Falgon und Múria zurück. Im Galopp hätten ihm die beiden sicher entkommen können, doch ihre Reittiere ließen sich kaum bändigen.
Dormund war inzwischen aus dem Sattel gesprungen und stand, die Gefahr nicht achtend, hinter dem Krokodil. Er überlegte wohl, wie er an dem langen Leib vorbeikommen konnte, um den Schädel des Tieres in einen Amboss zu verwandeln.
»Schlag ihm auf den Schwanz«, schrie Twikus.
»Das nützt nichts«, rief der Schmied über die Schulter zurück.
»Du wirst sehen, was das nützt. Tu’s einfach, Dormund!«
Der Schmied hob den schweren Hammer und ließ ihn auf die Schwanzspitze des Schneekrokodils niedersausen. Ein Knacken verriet, dass dabei irgendetwas zu Bruch ging.
Das Ungetüm brüllte abermals. Der vordere Teil seines Körpers bog sich nach hinten. Auf diese Gelegenheit hatte Twikus gewartet. Er ließ die Sehne los.
Der Pfeil zischte davon und traf das Tier mitten ins Auge.
Das Schneekrokodil warf den Kopf zurück und gab einen überraschend hohen Laut von sich. Es war der letzte Schrei, den die gefräßige Kreatur in seinem Leben von sich gab. Ihr schwerer Leib sackte nach vorn, die seitlich abgewinkelten Beine brachen ein, Schnee stob unter dem zu Boden sinkenden Körper hervor. Ein röchelndes Seufzen war noch zu vernehmen, dann kehrte Stille ein.
Alle starrten auf den leblosen Riesen.
»Puh, das war knapp!«, sagte unvermutet eine Stimme aus größerer Entfernung.
Twikus riss sich vom Anblick des toten Schneekrokodils los und drehte sich um. Etwa einen Steinwurf weit entfernt entdeckte er seinen Schildknappen, der offenbar sein Heil in der Flucht gesucht hatte. Er saß auf dem Krodibo und selbst auf die Entfernung konnte man sehen, dass er vor Angst schlotterte.
»Popi! Willst du mich etwa verlassen?«, fragte der König.
»Vielleicht sollte ich das.«
»Red keinen Unsinn. Ich habe mich auch erschrocken.«
»Das ist was anderes. Erschrecken darf man sich. Aber ein Schildknappe, dem vor Furcht die Knie schlackern…« Der Kleine schüttelte traurig den Kopf und fügte mit weinerlicher Stimme hinzu: »Ich habe dir ja gleich gesagt, dass ich Popi der Hasenfuß bin.«
»Solange du dir das einredest, ist es sicherlich wahr. Du musst mutig sein wollen, um Mutiges zu tun. Es wird Zeit, damit anzufangen. Komm her und schau dir das Schneekrokodil an.«
Popi der Hasenfuß zögerte.
»Wenn du noch lange stehen bleibst, wirst du festfrieren. Komm her!«, wiederholte Twikus seine Aufforderung.
Widerstrebend trieb der Knappe sein Krodibo neben dasjenige des Königs und blickte auf den riesigen Kadaver. Popis Mienenspiel war hinter der wärmenden Wollmaske nur zu erahnen, aber seine Stimme klang mit einem Mal verschmitzt.
»Schneekrokodile sollen ja eine Delikatesse sein.«
Twikus sah ihn überrascht an.
Popi nickte heftig. »Ja! Und ihr Fell ist unheimlich kostbar. Es hält wärmer als jedes andere. Ich werde der Bestie die Haut abziehen und du lässt dir einen königlichen Mantel daraus machen.«
Der Bezwinger des Schneekrokodils lachte. »Mein Mantel ist warm genug, ich schenke dir das Fell. Aber ein guter Braten für heute Abend käme uns allen sicher gerade recht.« Er wandte sich Múria und Falgon zu. »Geht es euch gut?«
Das Paar nickte und bedankte sich bei seinem Retter. Falgon lobte den präzisen Bogenschuss.
Dormund stupste derweil die breit geklopfte Schwanzspitze des Schneekrokodils mit seinem Hammer an und brummte: »Zum Glück bin ich nicht abergläubisch. Sonst würde ich diese Sache für ein schlechtes Omen halten.«
7
DAS MEER DER ZUNGEN
Entgegen den düsteren Befürchtungen des Schmieds blieben die Reisenden in den nächsten Tagen vor weiteren Zwischenfällen verschont. Zwar lag die Hügellandschaft von Ostrich noch immer unter einer hohen Schneedecke, aber wenigstens besserte sich das Wetter, je mehr die Gefährten sich von Soodland entfernten. Immer seltener peitschten Stürme das Land. Oft stand die
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