Mirad 02 - Der König im König
Sonne sogar allein am strahlend blauen Himmel, nur hin und wieder gesellten sich Wolken hinzu, die aber nicht bedrohlicher waren als eine Herde Schafe.
Den Krodibos machte die klirrende Kälte nichts aus. Es waren dieselben Tiere, die ihre Reiter erst wenige Monate zuvor sicher über den Grotwall getragen hatten. Im Gegensatz zu damals fehlte nur der stets gut gelaunte, tapfere, mit seinem Blasrohr so zielsichere und sich fast nie verirrende Tusan. Ergil dachte oft mit Wehmut an seinen Freund, der jetzt vermutlich im milden Klima von Bolk über der Nachricht eines Botenfalken brütete. Wie er Tusan kannte, ärgerte dieser sich, seinen Platz bei der Verfolgung des Chamäleonen einem anderen überlassen zu müssen. Wenn er wüsste, wer dieser andere war, hätte er sich vermutlich vor Lachen ausgeschüttet.
Das linkische Wesen des Hasenfußes ließ Ergil im Schutz seiner Wollmaske schmunzeln. Immerhin hatte Popi dem Schneekrokodil das Fell abgezogen (Falgon war ihm dabei zur Hand gegangen). Nun lag die Haut zusammengerollt hinterm Sattel des Knappen und würde vermutlich grauenhaft zu stinken beginnen, sobald sie in wärmere Gefilde kämen.
Zwei Wochen nach dem Vorfall mit dem Schneekrokodil hielt der Frost das Land immer noch fest im Griff. Die Gefährten hatten die Nacht in einem Dorf am Ausgang eines weiten Tals verbracht. In richtigen Betten!
Wie meistens, wenn sie auf andere Menschen trafen, verwickelte Falgon diese in ein Gespräch. Immer stellte er dieselben Fragen. Ist hier ein Reiter durchgekommen? Vermutlich ein Einzelgänger. Groß, dunkler Umhang, Kapuze, unter der er sein Gesicht verbirgt? Bisher hatte jedoch niemand den Zoforoth gesehen.
Auch dem Wirt des Gasthofes war niemand aufgefallen, auf den die Beschreibung zutraf. Aber als man sich am frühen Morgen für die Weiterreise rüstete, kam ein buckliger Mann über den Hof der Herberge gehumpelt, der auf seinem krummen Rücken einen wagenradgroßen Laib Käse schleppte. Statt in Stiefeln steckten seine Füße nur in Lappen und auch seine Kleidung bestand lediglich aus Lumpen, die er sich mithilfe von Schnüren um den Leib gebunden hatte. Der Mann bewegte sich dicht an der Hauswand entlang, als wolle er nicht gesehen werden. Als Falgon ihn trotzdem freundlich ansprach, zuckte er zusammen. Der runde Laib rutschte ihm aus den klammen Händen und fiel in den Schnee.
Wie sich herausstellte, war der Bucklige ein Senner. Als er Falgons Beschreibung des Gesuchten vernahm, verdüsterte sich sein Gesicht. Die Augen des Mannes blickten unstet hin und her, als suche er nach einem Fluchtweg.
»Habt Ihr etwas beobachtet, Nachbar?«, hakte der Waffenmeister nach.
Der Senner konnte nicht älter als vierzig sein. Sein Gesicht, ja sein ganzer Körper war schief gewachsen und ein Auge ragte weit aus der Höhle hervor. Er war eines jener von der Natur übersehenen Geschöpfe, wie man sie überall fand. Gewöhnlich wurden solche armen Seelen als Dorftrottel verlacht und umhergestoßen, aber insgeheim war man froh sie zu haben. Menschen fühlen sich gemeinhin wohler, wenn sie mit Fingern auf einen zeigen können, der unbestreitbar hässlicher oder dümmer ist als sie.
»Ihr würdet mir sowieso nicht glauben«, antwortete der Gefragte nach reiflichem Zögern. Er wagte den bärtigen Recken kaum anzusehen. Stattdessen schnaubte er und brachte dabei Laute hervor, die unmöglich zu verstehen waren.
Nun trat Múria an den Senner heran. Sie lächelte und legte ihm die Hand auf den Unterarm. Allein mit ihrer Schönheit hatte sie schon manchen Panzer aufgebrochen.
»Dich scheint etwas zu bedrücken, mein Guter. Willst du es nicht mit uns teilen? Dann geht es dir vielleicht besser«, sagte sie mit sanfter Stimme. Ihr vertraulicher Ton zeigte Wirkung.
Der Senner starrte auf ihre Hand, als habe sich ein scheuer Vogel auf seinem Arm niedergelassen. Schließlich hob er den Blick und glupschte Múria mit dem vorstehenden Auge schmachtend an. »Ich habe ein Kalb verloren«, begann er zögernd.
Sie nickte ihm aufmunternd zu, damit er weiterrede. »Und wie ist es dazu gekommen?«
»Ein…« Wieder sah er zweifelnd in die Runde.
»Wir wollen dir nichts Böses. Bitte sprich!«, drang Múria sanft in ihn.
»Ein Pferd hat es gerissen.«
»Ein Pferd?«, wiederholte die Geschichtsschreiberin.
»Ich wusste, dass Ihr mir nicht glauben würdet.«
»Nicht so voreilig, mein Guter. Ich möchte es nur genau wissen. Hast du das Pferd gesehen?«
»Ja. Als es aus dem Stall herauskam, in dem
Weitere Kostenlose Bücher