Mirad 02 - Der König im König
des Leids zu verhindern, das Schmerz über die Bewohner Mirads gebracht hatte, zerstörte Tarin die Aufzeichnungen über das Wesen des Schwertes, nachdem er sie auswendig gelernt hatte. Fortan wurde das geheime Wissen aus diesem so genannten Buch des Schmerzes von Generation zu Generation mündlich weitergegeben.
Im Laufe vieler Generationen ließ die Wachsamkeit der Bartarin jedoch nach. Die Bedrohung durch Magos, den Bruder des erschlagenen Gottes, war für sie kaum mehr als eine Geschichte, mit der man kleine Kinder erschreckte. Für einen Sterblichen ist es eben sehr schwierig, sich die Geduld und Ausdauer eines Gottes vorzustellen.
Tatsächlich dauerte es viele, sehr viele Generationen, bis Magos die Nachfahren Tarins ausfindig machen konnte. Einer seiner Schergen – Ulam sagte, es sei ein Chamäleone gewesen – tauchte eines Tages in Silmao auf. Nach wie vor hütete das Geschlecht der Waffenschmiede das schwarze Schwert und sein Geheimnis. Der Diener des dunklen Gottes tötete alle Nachkommen Tarins, derer er habhaft werden konnte. Das Schwert nahm er mit sich. Die Übriggebliebenen der Bartarin flohen nach Sajim, einer kleinen Stadt an einem der Quellflüsse des Bans. Um sich zu schützen, nannten sie sich fortan wieder die Haikune.
Ein dunkles Zeitalter begann. Nur die Sirilim wagten Magos zu trotzen und konnten ihm viele Menschenalter lang standhalten. Aber durch das Schwert wuchs die Macht des dunklen Gottes unaufhaltsam. Schließlich hatte er ein gewaltiges Heer aufgestellt. Er sandte es in den Grünen Gürtel und vernichtete die Schönen. Alles schien verloren, aber ehe der Niedergang des Alten Volkes besiegelt war, hatte sich deren Fürst Jazzar-fajim zum Kitora aufgemacht.
Einige Zeit später verschwand Magos’ dunkler Schatten vom Herzland. Die Haikune fühlten sich endlich sicher. Sie wurden wieder zu den Bartarin und kehrten von Sajim in ihre angestammte Heimat nach Silmao zurück.
»Hat Ulam je erfahren, was du über sein Geschlecht weißt?«, fragte Falgon, nachdem Dormund in ein düsteres Grübeln verfallen war. Die anderen Gefährten standen noch ganz unter dem Eindruck des Gehörten und blickten, teilweise mit glasigen Augen, ins Halbdunkel des Kaminzimmers.
Der Schmied schüttelte den Kopf. »Nein. Ich blieb fast auf den Tag genau drei Jahre bei ihm. Bis zu seinem Tod. Auf dem Sterbebett hat Ulam seinem Bruder Kubuku die Führung der Familie übertragen. Mir vertraute er die Rezeptur zur Herstellung des berühmten susanischen Stahls an; es ist dasselbe Material, aus dem ich Zijjajims Blütengriff gefertigt habe. Ich kam mir vor wie ein Verräter. Kubuku wird sich bestimmt gewundert haben, warum ich Silmao nach dem Tod seines Bruders Hals über Kopf verließ. Als Ulam mich gesegnet hatte, fasste ich einen Entschluss. Ich wollte das Geheimnis der Bartarin mit ins Grab nehmen. Es gehörte ihnen allein. Weder ich noch jemand anderer besaß ein Anrecht darauf.«
Twikus hatte den Bericht des Schmieds zuletzt vor dem Kaminfeuer stehend angehört. Jetzt trat er neben den Freund und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Danke, Dormund. Ich glaube, es war trotzdem richtig, dass du heute dein Schweigen gebrochen hast.«
»Das könnte ein Fehler gewesen sein«, sagte Múria unvermittelt.
Alle sahen sie verwundert an.
Sie erwiderte die Blicke mit benommenem Blinzeln. »Entschuldigt. Ich war in Gedanken. Damit meine ich nicht Dormunds Offenbarung. Dafür wird er in die Geschichte eingehen – sofern die Chroniken von Mirad uns jemals überdauern sollten. Nein, ich wollte sagen, die Rückkehr der Haikune nach Silmao und ihre Wiederbesinnung auf den alten Familiennamen könnte sie in große Gefahr bringen. Wohnen sie immer noch in der Hauptstadt von Susan?«
Falgon antwortete anstelle des Schmiedes: »Die Bartarin-Schwerter sind fast so berühmt wie die unseres teuren Freundes hier. Jeder, der diese Klingen kennt, weiß auch, wo er ihre Schöpfer finden kann.«
»In Silmao?«, vergewisserte sich die Geschichtsschreiberin.
Der Waffenmeister und der Schmied bejahten im Chor.
Múria lächelte grimmig. »Dann wissen wir jetzt, wohin sich Kaguan wenden wird. Vermutlich rechnet er nicht mit unserer Verfolgung, weil er uns irgendwo auf dem Weg zum Kitora wähnt. Das ist doch wenigstens ein Lichtblick, findet ihr nicht?«
In Múrias Netz von Gewährsleuten waren die Botenfalken eine feste Größe. Diese etwa bussardgroßen Vögel zeichneten sich durch Schnelligkeit, Ausdauer, Wehrhaftigkeit
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