Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
kostbaren Geschosse weniger schnell zur Neige gehen. Trotzdem war der Hang bereits mit Leichen übersät, als die ersten Angreifer den Zaun erreichten.
Die Heere der Achse hielten sich streng an das Handbuch, soll heißen, sie gingen weit verschwenderischer mit ihrem Kriegsmaterial um. Immer wieder verdunkelte sich der Himmel über den Verteidigern, weil ganze Schwärme von Pfeilen auf sie herabregneten. Etliche davon brannten, blieben in den Palisaden stecken und brachten den Saft im noch feuchten Holz zum Kochen. Über kurz oder lang würde der Zaun Feuer fangen. Um das Unvermeidliche hinauszuzögern, ließ Borst die Spitzpfähle in regelmäßigen Abständen wässern.
Múria musste an die Worte denken, die ein weiser Mann gesagt hatte: »Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Unschuld.« Wie wahr! Angesichts des Gemetzels konnte sie nur Abscheu empfinden. Doch hatte sie nicht selbst einen Anteil daran? In den letzten Wochen war sie schließlich nicht untätig gewesen. Sie hatte dem Gegner mit vielerlei Listen immer wieder empfindliche Schlappen zugefügt, in der Hoffnung, diesen furchtbaren Tag so weit wie möglich hinausschieben zu können. Aber nun war er gekommen. Angewidert wandte sie sich ab und lief in die Burg zurück.
Um die Mittagszeit hielt sie es in ihren Gemächern nicht mehr aus. Untätig auf die Gnade des Schicksals zu warten, entsprach nicht ihrer Natur. Sie begab sich wieder ins Freie, jedoch nicht zurück zum Verteidigungsring, sondern auf den Knochenturm. In schwindelnder Höhe verschaffte sie sich einen Überblick.
Die Lage war alles andere als ermutigend. Im Verlauf des Vormittags hatte sich der Kampf an der äußeren Barriere zugespitzt. Der Zaun brannte an mehreren Stellen. Die Soldaten hatten Ketten gebildet, um Wasserkübel schnellstmöglich zu den Flammen zu befördern. Dadurch konnten sie keine Schilde halten und waren den immer noch auf sie niederregnenden Pfeilen schutzlos ausgesetzt. Zwischen der Palisade und der ersten Mauer lagen unzählige Tote.
Múria konzentrierte sich auf eine Stelle, an der das Feuer besonders heftig wütete. Unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft verschob sie das Faltentuch der Zeit: die Stämme wurden wieder jünger, die Flammen erloschen. Anschließend keuchte sie vor Anstrengung. Wenn sie doch nur ein wenig mehr von der Macht hätte, die Ergil besaß!
Immer häufiger gelang es den Gegnern nun, die Spitzpfähle zu überqueren. Damit verlagerte sich der Kampf zusehends in den Innenraum zwischen erstem und zweitem Wall. Múria konnte ihre Gabe nur hier und da zum Einsatz bringen, indem sie Feuer löschte oder Breschen schloss. Bald war sie aber auch dafür zu erschöpft und musste hilflos mit ansehen, wie das Pfahlwerk in der zweiten Stunde nach Mittag fiel.
Wer von den Verteidigern noch lebte, hatte sich hinter die äußere Mauer geflüchtet. Die Soldaten der vereinigten Heere stimmten ein Jubelgeschrei an. Von dem Erfolg beflügelt, rannten sie sofort gegen das nächste Bollwerk an.
Múria entsann sich einer ihrer wertvolleren Gaben. Sie war Heilerin. Eine gute sogar. Auf der Sooderburg gab es nur wenige, die sich auf die Versorgung von Wunden verstanden. Man würde ihre Hilfe dringend benötigen.
So verließ sie ihre Warte und kletterte wieder in den Innenhof hinab. Dort lief ihr der Adjutant des Reichsverwesers in die Arme. Er wirkte überrascht, wenn nicht gar erschrocken.
»Wohin des Weges, Torbas?«
»König Borst schickt mich, die Verteidigung des inneren Rings vorzubereiten. Auf der Mauer wird Pech gebraucht.«
»Des inneren…?« Sie erschrak. »Steht es so schlimm um uns?«
»Noch hält die äußere Mauer. Aber Seine Majestät will für den schlimmsten Fall gewappnet sein.«
»Wo ist der König gerade?«
»Auf dem Nordwestturm der inneren Mauer, Herrin. Von dort verfolgt er die Schlacht. Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt?« Torbas eilte davon.
Múria beobachtete noch, wie er die Holztreppe am Fuß des Knochenturms erklomm und in der Tür verschwand, die zu den Waffenkammern und Verliesen hinabführte. Dann entfernte sie sich in die entgegengesetzte Richtung.
Wenig später fand sie Borst auf dem besagten Turm.
»Wie ist die Aussicht da oben?«, hieß der Recke sie willkommen. Auf seinem schweißbedeckten Gesicht klebten Staub und Asche.
»Niederschmetternd. Ich wollte mich nützlich machen und mich um die Verwundeten kümmern.«
»Das ist eine gute Idee. Mir ist auch wohler, wenn du nicht hier draußen herumläufst, wo die
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