Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Der König musterte den Waffenmeister unter seinen buschigen grauen Augenbrauen. »Also gut. Dann sollten wir dieses hässliche Spiel zu Ende bringen, oder was meint Ihr?«
»Ist mir nur recht. Wie lauten Eure Befehle?«
»Ihr nehmt Euer Schwert und geht mit drei Dutzend Freiwilligen in den mittleren Ring hinunter.«
»Was?« Torbas schnappte nach Luft. »Ich dachte, Ihr wollt ihn aufgeben.«
»Will ich auch. Aber Ihr habt ja Qujibos Reaktion miterlebt. Wir dürfen auf keinen Fall eine Meuterei gegen mich aufkommen lassen. Deshalb muss der Rückzug für den Herzog, die Sirilim, für Múria und die anderen auch so aussehen, als hätten wir alles unter Kontrolle. Dem Feind vermitteln wir natürlich genau den gegenteiligen Eindruck. Alles klar?«
Torbas krauste die Stirn. »Ehrlich gesagt, nein, Majestät.«
»Na, ist doch ganz einfach. Wir tun so, als würden wir die Generäle der Achse an der Nase herumführen, damit sie unvorsichtig werden. Das sieht verdammt listig aus und wird mir für eine Weile unbequeme Fragen vom Leib halten. Du gehst hinunter zwischen die Mauern und sorgst dafür, dass dort der Eindruck eines heillosen Durcheinanders angerichtet wird, so als hätten wir uns kopflos zurückgezogen. Wenn der Feind sich am zweiten Ring ein wenig verausgabt hat und von der Ernsthaftigkeit unserer Gegenwehr überzeugt ist, lässt du ihn herein. Es muss so aussehen, als hätten wir vor lauter Angst das Tor zum Palisadenring nicht richtig zugemacht. Wenn du in die Festung zurückkommst, bleibst du beim inneren Tor. Das werden wir nach Einbruch der Dunkelheit öffnen.«
»Raffiniert«, sagte Torbas, obwohl ihm seine Rolle in diesem Ränkespiel nicht ganz behagte. »Kann nicht ein anderer das äußere Tor aufmachen?«
»Ich brauche da unten jemanden, auf den ich mich ohne Wenn und Aber verlassen kann. Hast du in der Burg noch jemanden eingeweiht, der dafür infrage käme?«
»Nein.«
»Oder fürchtest du dich? Ich meine, das könnte ich verstehen, wo…«
»Ich habe keine Angst!«, zischte Torbas. Er spürte, wie die Zornisse sein Blut zum Kochen brachte. Außerdem, so schlecht war Borsts Plan nun auch wieder nicht. Ein Scharmützel zwischen den Mauern konnte eine anregende Abwechslung sein.
»Dann ist es ja gut. Du kannst mir ruhig genauso vertrauen, wie ich dir vertraue. Was soll dir schon geschehen?«, sagte Borst, um die letzten Zweifel seines Adjutanten zu zerstreuen, und grinste. »Wir beide kennen doch den großen Plan, nicht wahr?«
Die Ausführung von Borsts Befehl war ein riskantes Unternehmen, weil pausenlos vielerlei Geschosse auf seinen Adjutanten und die drei Dutzend Freiwilligen niederregneten. Die echten Verteidiger hatten sich längst in den inneren Ring zurückgezogen.
Torbas und seine Männer verteilten alles, was sie finden konnten, über dem Boden. Er ließ sogar einige Speere, Schwerter und Äxte herbeischaffen, um den Eindruck eines überstürzten Rückzugs noch zu verstärken. Am überzeugendsten fand er allerdings die Leichen. Die gefühlsduseligen Soodländer waren dafür bekannt, dass sie ihre Gefallenen nie zurückließen. Wenn der Gegner zwischen die Mauern stürmte und all die Toten sah, würde er vor Siegesgewissheit heulen. Sollte er ruhig, denn bald würde ihm die Festung ohnehin gehören. Wichtig war nur, dass man Borst nicht auf die Schliche kam.
Die Baumeister der Sooderburg hatten sämtliche Zugänge für Katapultgeschosse unerreichbar gemacht, weil sie von vorspringenden Mauerteilen weit überwölbt und zudem schräg angeordnet waren. Man konnte den Toren nur mit Rammböcken zu Leibe rücken, setzte sich dabei aber der Gefahr aus, durch Pechnasen mit siedendem Öl begossen zu werden. Ungeachtet dieses Umstands hörte man am äußeren Tor ein regelmäßiges Donnern. Der Gegner wollte es also wissen. Aber die Riegel waren stark. Ohne Hilfe von innen würde er sie nicht sprengen können.
Der Waffenmeister blickte an der inneren Mauer empor und sah seinen Herrn. Der weiße Vollbart in der schmalen, senkrechten Schießscharte ließ keinen Zweifel aufkommen, dass es Borst war. Torbas reckte den Daumen hoch und der König winkte.
Als das Durcheinander überzeugend genug hergerichtet war, begann das Warten. Borst wollte, damit seine List bis zum Schluss für die Verteidiger glaubhaft blieb, das äußere Tor erst im letzten Tageslicht öffnen. Das sah dann so aus, als locke er den Gegner mit einem vermeintlichen Erfolg in die Nacht hinein – bisher hatten die
Weitere Kostenlose Bücher