Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
eingegraben. Der Text ließ ihn im Nachhinein verstehen, warum Bombo so viel Aufhebens um diesen Landfall gemacht hatte.
An diesem Orte betrat
Ergil von Sooderburg,
Sohn Torlunds des Friedsamen und
Prinzessin Vanias vom Geschlecht der Sirilim,
der König von Soodland,
erstmals das Land hinter dem Weltenbruch
und nahm es für sein Reich in Besitz.
»Ich wünschte, ihr könntet mich besser verstehen«, sagte Ergil traurig. Die Gedenktafel glitt ihm aus den Händen, fiel herab und blieb mit einer Ecke im Sand stecken. Ohne sie weiter zu beachten, drehte er sich um und stapfte den Strand hinauf.
Das Gedicht vom Grünen Meer beschrieb die Wirklichkeit sehr treffend. Vor fünf Tagen hatten die Gefährten das »Land hinter dem Weltenbruch« betreten und seitdem nichts als wuchernden Dschungel gesehen. Anfangs waren sie die Klippen hinaufgeklettert und in westlicher Richtung die Küste entlanggewandert. Dann hatten sie sich auch tiefer in den Urwald gewagt.
Obwohl Ergil im Großen Alten aufgewachsen war und schon viele Pflanzen erforscht hatte, überraschte das »Grüne Meer« ihn jeden Tag mit neuen Entdeckungen. Da gab es Bäume mit einer Rinde aus Igelstacheln. Blumen, die mit langen, ausrollbaren, klebrigen Zungen Insekten jagten. Gewächse, die großen Farnen ähnelten und den Wald mit harfenartigen Klängen erfüllten. Giftgrüne Pilze so groß wie ein Haus, auf deren Dach kleinere rote Pilze wucherten, deren Hüte ihrerseits mit leuchtend blauen Zwergenpilzen bewachsen waren; darauf befanden sich gelbe Flecken, die sich bei näherer Betrachtung als noch winzigere Pilze entpuppten. Auch die Tierwelt war in mancher Hinsicht fremdartig, verhielt sich aber friedlich. Der größte gesichtete Waldbewohner steckte im Pelz eines Dachses und fraß Rinde wie ein Biber. Alle Sonderbarkeiten aufzuzählen, die der König von Soodland im Grünen Meer entdeckte, würde den Rahmen dieses Buches bei weitem sprengen.
Zu Beginn der Exkursionen war Ergil von neuer Hoffnung beflügelt gleichsam durch den fremdartigen Wald geschwebt. Neugierig bestaunte er all die wundersamen Entdeckungen. Doch seine anfängliche Hochstimmung schlug schon bald in Enttäuschung um. Der letzte Tagesmarsch hatte die Gemeinschaft des Lichts nach Osten geführt und immer noch war man auf keinen einzigen Ginkgo gestoßen. Weil die Bäume des Waldes die Sicht über größere Entfernungen unmöglich machten, hatte Tusan den Marsch in die Ausläufer des Weltenbruchs vorgeschlagen. Aus größerer Höhe konnte man sich selbst einen Eindruck von dem verschaffen, was Schekira als »endloses Grün« beschrieben hatte.
Bei Sonnenaufgang des sechsten Tages brach man das Lager ab und machte sich an den Aufstieg. Wieder marschierten die Gefährten an fremdartigen Pflanzen vorüber. Nach einigen Meilen erweckte ein gigantischer, dem Aussehen nach uralter Baum Ergils Aufmerksamkeit. Seine rötliche Rinde glich einem Umhang aus grober Wolle, der in zahlreichen Falten aus schwindelnder Höhe bis zu den kräftigen Wurzeln am Boden reichte. Die ausladende Krone des Alten hätte einen Palast beschirmen können. Was Ergil besonders staunen ließ, waren die verschiedenartigen Blätter, die er im Geäst des Riesen erblickte. Einige hatten die Gestalt von Eichenlaub, andere erinnerten ihn an Ahorn und sogar Nadeln konnte er entdecken. Hier und da hingen Luftwurzeln herab. Vereinzelt machte er in der Höhe kleinere, dicht belaubte Nester aus, Schmarotzerpflanzen, die sich auf Kosten des Wirts ernährten.
Ergil überkam ein Gefühl der Ehrfurcht, während er an dem Riesen vorbeiwanderte. Was hatte dieser Baum wohl schon alles gesehen? Wenn man ihn nur fragen könnte, wie einem kranken Ginkgo zu helfen war, er würde es wohl wissen.
Etliche Stunden später erklommen die Gefährten einen vorspringenden Felsen. Zu ihren Füßen breitete sich das »endlose Grün« aus, von dem die Elvin gesprochen hatte. Für den König war es eine gleichermaßen atemberaubende wie beunruhigende Aussicht. Wie sollte er jemals in diesem Ozean finden, wonach er suchte?
»Jetzt siehst du es selbst: nichts als wucherndes Grün«, meldete sich Schekiras Stimme von seiner Schulter her. In den letzten Stunden hatte sie die verschnupfte Prinzessin gespielt.
Ergil war unfähig, darauf etwas zu erwidern. Dafür kam ihm Jazzar-fajim zu Hilfe.
»Sei nicht gekränkt, kleine Schwester. Wir haben keineswegs an deinen Worten gezweifelt, aber mit eigenen Augen zu sehen, was da unter uns ausgebreitet
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