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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ihn nicht mehr als ein perlmuttfarbener Klecks war.
    Ergil rieb sich die Augen und sein Herz begann heftig zu klopfen. Offenbar trübten die eingeatmeten Pollen das Wahrnehmungsvermögen. Hoffentlich nur vorübergehend, die Zornissen hatten in seinem Kopf schon genug Schaden angerichtet.
    Eine weitere beunruhigende Entdeckung war Schekiras Kleidung. Sie trug, so wie alle anderen Gefährten, ein knöchellanges hellgrünes Hemd. Ergil blickte an sich herab und erschrak. Ihn hatte man ebenfalls in ein solches Gewand gesteckt. Es glitzerte wie Tau auf einer Wiese im Morgenlicht und weil er immer noch alles verschwommen, wie durch einen Tränenschleier sah, war jede Lichtspiegelung von einem kleinen Strahlenkranz umgeben.
    »Was ist mit uns passiert?«, flüsterte er.
    »Ihr seid unsere Gefangenen und sollt die Gelegenheit erhalten, Euch für Eure Untat zu verantworten«, beschied prompt eine helle, leicht knarrende Stimme, deren ausnehmend freundlicher Ton nicht ganz zu dem Gesagten passen wollte.
    Ergil fuhr herum. Er hatte nicht bemerkt, dass außer seinen Freunden noch jemand anderer zugegen war. Leider konnte er aufgrund seines verschleierten Blickes nur erahnen, wer sich da links neben ihm in die Höhe erhob. Es handelte sich um eine etwa zehn Fuß große, ungemein dünne Gestalt. Eigentlich war sie von den Füßen bis zum Kopf nur ein brauner Strich in der Landschaft: Der Übergang von Schultern, Hals und Kopf ließ sich kaum ausmachen. Auf ihrem Haupt trug sie einen Hut, aus dem Äste mit Blättern ragten. Oder gehörten die bizarren Auswüchse zu ihrer Frisur? Wie auch immer, jedenfalls wirkten ihre Arme und Beine, ja ihre ganzen Bewegungen seltsam hölzern. Ergil rieb sich mit den Fäusten die Augen, aber dadurch sah er auch nicht klarer. Um der langen Bohnenstange keinen weiteren Anlass zum Unmut zu geben, befleißigte er sich einer betont höflichen Erwiderung.
    »Es ist mir eine Freude, Euer… Gast zu sein. Sollte es irgendwelche Missverständnisse gegeben haben, will ich sie gerne aufklären. Es mag Euch interessieren, wen Ihr vor Euch habt. Ich bin Ergil von Sooderburg, König von Soodland. Und wer seid Ihr?«
    »Mein Name ist Föhribus. Doch das tut nichts zur Sache. Wenn Ihr tatsächlich ein König seid, dann werdet Ihr ohne Zweifel wissen, wie man sich gegenüber dem Vater eines zahlreichen Volkes zu benehmen hat. Bitte verbeugt Euch vor dem König der Bäume.« Der Lange deutete in eine verwaschene Ansammlung von Grün- und Brauntönen, die Ergil direkt gegenüber lag. Erst nachdem der »Gast« sich abermals die Augen gerieben hatte, schälten sich weitere Einzelheiten aus dem verschleierten Bild der Umgebung. Nicht unbedingt zu seiner Beruhigung.
    Was Ergil anfangs nur für ein großes Rund von Bäumen gehalten hatte, erwies sich bei genauerer Betrachtung als ein Kreis von Personen. Offenbar handelte es sich um die Verwandtschaft von Föhribus oder zumindest um Artgenossen. Im Vergleich zu ihnen sah er aus wie ein Sprössling. Einige der fast reglos Dastehenden waren rank und schlank, andere knorrig und klein, wieder andere stämmig und hochgeschossen. Ausnahmslos trugen sie die seltsamsten Blätterhüte oder -frisuren. Am eindrucksvollsten von allen war jedoch der Hüne, auf den Föhribus mit seinen dünnen Armen deutete.
    Als der Blickkontakt zwischen den beiden Königen hergestellt war, drückte der Höfling knarzend die Brust heraus und posaunte: »Erweist Ehre, wem Ehre gebührt. Huldigt dem Herrscher aller Wurzeligen, dem Uralten und doch ewig Jungen, dem unerschöpflich Weisen und immerfort Suchenden. Verneigt Euch vor Ajuga dem Jüngeren.«
    Zum Schluss hatte Föhribus die Vorstellung seines Oberhauptes wie einen Fanfarenstoß dramatisch in die Länge gezogen. Ergil horchte auf. Diesen Namen hatte er doch…
    Ein vernehmliches Räuspern zu seiner Linken riss ihn aus den Gedanken. Zunächst war es wohl das Klügste, dem Herrscher aller Wurzeligen mit einer hinreichend tiefen Verbeugung die Reverenz zu erweisen. Die umstehenden Gefährten folgten seinem Beispiel. Alle warteten, bis Ajuga sie aus der Schieflage befreite.
    »Richtet Euch bitte auf, König Ergil. Und auch Ihr, die Ihr ihn begleitet.«
    Während der Angesprochene sein Haupt erhob, warf er einen Blick nach links. Sein Sehvermögen hatte weitere Fortschritte gemacht. Jetzt konnte er das von senkrechten Runzeln zerfurchte Gesicht des Höflings schon viel besser erkennen. Zum ersten Mal fielen ihm auch dessen feingliedrige Hände auf.

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