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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sagen.
    »Was meinst du?«
    »Die Art und Weise, wie er da sitzt. Unter diesem… Baldachin.« Der Sirilo deutete zu der schneebeladenen »Hängematte«.
    »Man könnte glauben, er wollte uns damit etwas sagen«, murmelte Ergil.
    »Fragt sich nur, was diese Botschaft bedeuten soll: Aufrechter Mann unter Schneehimmel – ob er uns damit warnen wollte?«
    »Du meinst etwas in der Art wie: ›Gebt Acht, eine große Kälte wird euch stehenden Fußes überfallen?‹ Woher hätte er davon wissen sollen? Magos dürfte den Fluch erst später ausgesprochen haben, als Harkons Urenkelin bereits geboren war.«
    »Dann hat Inimai dir also von ihren Verwandschaftsverhältnissen erzählt?«
    Ergil nickte. »Kurz bevor wir abgereist sind. – Warte, ich möchte mal eben etwas ausprobieren.«
    Rasch versicherte er sich Nisrahs Unterstützung, schloss die Augen und ließ seinen Geist in den Erstarrten eindringen. Nicht einmal das Krachen aus der Nachbarkajüte konnte ihn dabei stören – offenbar zerlegte sein susanischer Freund nebenan irgendwelche Möbel in ofengerechte Stücke. Als wäre er das Blut, das durch Harkons Adern strömte, tastete sich Ergils Sinn immer tiefer in dessen Körper vor, untersuchte jede Faser und jeden Knochen und bewegte sich dann sogar in der Zeit zurück. Plötzlich schnappte er nach Luft.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Jazzar-fajim.
    Ergil starrte mit glasigen Augen auf den Mann im Stuhl und flüsterte: »Er ist gar nicht tot.«
    »Was meinst du damit?«
    Tusan stellte sofort seine Suche ein und Tiko kam mit einem Arm voll Möbeltrümmern aus der vorderen Kajüte angelaufen.
    Ergil blickte sie reihum an, dann deutete er auf den Abenteurer. »Harkon schläft nur.«
     
     
    Er hatte spüren können, dass dieses erstarrte Leben in Harkons Körper zerbrechlicher war als eine Figur aus feinem Glas. Ergils Gedanken wanderten zu den Hängen des Kitoras im Gebirge von Harim-zedojim zurück. Als ihm dort von Falgons schrecklichem Ende berichtet worden war, hatte er den Ziehvater mit seiner Gabe in die Welt der Lebenden zurückholen wollen. Aber Múria hielt ihn davon zurück. Der Faltenwurf der Welt sei in ständiger Bewegung, hatte sie erklärt. Er könne nicht ein weit in der Zeit zurückreichendes Ereignis ungeschehen machen, ohne viele andere Geschöpfe in Mitleidenschaft zu ziehen. Und dann fügte sie hinzu: »Im schlimmsten Fall könnte das ganze Gewebe unserer Welt zerreißen.«
    Aber war die Situation hier nicht anders? Harkons Schiff lag seit Generationen im ewigen Eis, gewissermaßen weit abseits von den Wogen der Geschichte. Konnte man in diesem Fall nicht ausnahmsweise den Eingriff in den Faltenwurf der Welt wagen?
    »Davon rate ich dir ab«, sagte Jazzar-fajim, als er von der Idee hörte, und deutete auf den überfrorenen Mann. »Der winzigste der Eiskristalle auf seinem Kopf könnte die Welt zum Einsturz bringen, wenn es seinem Platz in Harkons Bart entrissen würde. Alles hängt mit allem zusammen.«
    »Vielleicht sollten wir ihn ganz langsam auftauen«, schlug Popi vor. Er hatte Tiko einen Teil der Holzscheite abgenommen, um sie in den Eisenofen zu schichten.
    Ergil warf seinem Ratgeber-Kammerdiener-Adjutanten einen zweifelnden Blick zu. »Ich weiß nicht, ob er diese Prozedur schadlos überstehen würde. Aber lasst es uns versuchen.«
    Wenig später breitete sich eine wohlige Wärme in der Kajüte aus. Die Gefährten umringten den bullernden Eisenzylinder. Einige öffneten erste Knebel an ihren Mänteln. Leise, so als wollten sie den Schläfer im Stuhl nicht stören, erörterten sie alle erdenklichen Möglichkeiten zur Wiederbelebung des Abenteurers. Weil sie ihm den Rücken zugekehrt hatten, bemerkte zunächst auch keiner, dass der Schnee in der »Hängematte« allmählich zu tauen begann. Die Nässe färbte das Segeltuch dunkel. Bald tropfte das Schmelzwasser auf den Kopf des Erstarrten, rann ihm über Stirn und Gesicht, perlte in den Schnurrbart, benetzte seine Lippen…
    Und dann schlug Harkon Hakennase die Augen auf.
    Die um den Ofen Versammelten palaverten immer noch. Bis plötzlich vom Stuhl her eine Stimme kam und sagte: »Bitte entschuldigt, meine Herren, aber ich glaube, wir haben uns noch nicht vorgestellt.«
    Sämtliche Augen richteten sich auf den Erwachten.
    Harkon zog schauerliche Grimassen, als müsse er seine Gesichtshaut straffen. Auch drehte er den Kopf, dass man fürchten musste, er würde ihm gleich von den Schultern rollen. Dann fing er an, seine Glieder zu strecken.

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