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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Brust des Ärmsten war ein Tau gewunden, das seinen Oberkörper aufrecht hielt. Seine Arme lagen – ohne solche Fesseln – auf den Lehnen. So hätte er seinen Gästen, wären seine Augen nicht geschlossen gewesen, mit entspannter Miene entgegengeblickt.
    Das erstaunte Ergil. Die Körperhaltung einiger Männer oben hatte auf einen qualvollen Tod schließen lassen, aber dieser sah eher aus, als schlummerte er selig in einem unplanmäßig langen Winterschlaf.
    Die übrige Erscheinung des Mannes war unspektakulär: klein und hutzelig, schmale Schultern, Schmerbauch, buschige Augenbrauen, Adlernase, breite Lippen, ein sauber gestutzter, spitz zulaufender Kinn- sowie ein – immerhin schwungvoll buschiger – Schnurrbart. Obwohl seine schüttere Kopfbehaarung mit einer Reifschicht überzogen war, konnte man hier und da ein leuchtendes Rot hindurchschimmern sehen. Er trug eine schwarze Hose, dick gefütterte Filzstiefel und eine Seidensteppjacke mit Kranichmotiven, wie man sie in Susan bevorzugte. Seine Gesichtszüge waren aber eher stromländisch.
    Auch Tusan mochte zu dem Schluss gekommen sein, einen Landsmann vor sich zu haben. Er zog seinen rechten Handschuh aus und berührte wie zur Begrüßung ganz unerschrocken die bartlose Wange des Mannes.
    »Seine Haut ist zwar hart wie Eis, fühlt sich ansonsten aber eher wie trockenes Pergament an. Merkwürdig«, gab der Fährtensucher das Resultat seiner ersten flüchtigen Untersuchung kund.
    Ergils Aufmerksamkeit wurde von Jazzar-fajim abgelenkt, der sich nicht dem allgemeinen Staunen über den makabren Fund angeschlossen, sondern den Blick zur Decke gewandt hatte. Dort war eine Art Hängematte aus Segeltuch angebracht. Über dem Kopf des stummen Kajütenbewohners wölbte sich der Stoff weit nach unten. Jazzar-fajim zog sein Schwert und stach ein Loch hinein. Schnee rieselte heraus.
    »Mehr als merkwürdig«, murmelte der König.
    »Das muss der Kapitän sein«, sagte Popi, während er den Stuhl umschlich.
    »Nein«, widersprach Ergil.
    »Wieso bist du dir da so sicher?«
    Tiko wusste die Antwort. »Weil Atamas II. dieses Schiff ausgerüstet hat. Für den Mazar war es selbstverständlich, dass die tüchtigsten susanischen und nur susanischen Seeleute die Mannschaft stellten.«
    Popis Augen schienen sich aufzublähen. »Aber das… das hieße ja…« Sein Mund blieb offen stehen, wie eingefroren.
    Ergil nickte. »Ja, das ist der legendäre Abenteurer und Forschungsreisende Harkon Hakennase.«
    Eine andächtige Stille trat ein.
    »Ich weiß nicht«, sagte Popi. »Vielleicht hat Harkon ja in Ostrich oder Kimor einen Mitreisenden an Bord genommen, von dem wir nichts wissen.«
    »Ich erkenne einen Stromländer auf eine Meile Entfernung und von Harkon heißt es, er sei einer gewesen«, gab Tusan zu bedenken.
    »Außerdem hat er eine Jacke an, wie sie im Norden meiner Heimat nur von Edelleuten getragen wird«, fügte Tiko hinzu.
    Popi schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber sieh ihn dir doch mal an, Ergil! Seine Beine reichen ja kaum bis zum Boden. Ich habe immer gut zugehört, wenn jemand über Harkons Reisen erzählt oder aus seinen Büchern vorgelesen hat. Wer so vielen Gefahren trotzt, muss ein stattlicher Recke sein, aber nicht so ein…«
    »… kleiner Mann wie du?«, fragte Ergil.
    »Was?« Popi starrte ihn entgeistert an. Ein Halbsatz hatte sein Bedenkengebäude in den Grundfesten erschüttert und jetzt brachte es der König vollends zum Einsturz.
    »Du bist auf den Kitora gestiegen, Popi, direkt in Magos’ Feste, und hast mich nicht nur dem dunklen Gott, sondern auch dem Tod entrissen. Jetzt schau dich an. Bist du ein langer Kerl? Nein. Ich schätze, die alte Hakennase hat mit ihren Harkoniaden nicht ohne Grund die Illusion von einem stattlichen strahlenden Helden erschaffen. Ich bin ja auch ein bisschen überrascht, aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir die Vorstellung.«
    »Wahre Größe kann man nicht mit dem Zollstock messen«, brachte Schekira es auf den Punkt.
    Während Popi andächtig in die tieferen Bedeutungsschichten des Wortes »desillusionieren« vorstieß, wurde Tusan unversehens regsam.
    »Ich schaue mal, ob ich irgendwelche Aufzeichnungen entdecke.«
    »Und ich werde ein bisschen Holz beschaffen und den Ofen anheizen, damit wir während der Suche nicht erfrieren«, schlug Tiko vor und verließ den Raum.
    Ergil betrachtete weiter seinen erstarrten Jugendhelden.
    »Findest du das nicht auch seltsam?«, hörte er Jazzar-fajim

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