Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
bist…?«
»Dein Enkelsohn. Ursprünglich waren wir zwei, aber Twikus lebt nicht mehr.«
»Vania hat zwei Söhne geboren?«
»Sirilimzwillinge, um genau zu sein.«
Es dauerte einen langen Moment, bis Baroq-abbirim seine Fassung wiedererlangt hatte. Dann nötigte er seinen Enkel dazu, auf den Teppichen Platz zu nehmen. Eine Erfrischung werde er ihm gewiss auch nicht abschlagen. Mehrmals wiederholte Ergil, wie wenig Zeit er habe, aber der Gleichmut seines Großvaters blieb unerschütterlich.
»Du musst mir alles erzählen«, drängte er und klatschte in die Hände. Mehrere Diener beiderlei Geschlechts eilten herbei. Baroq-abbirim sprach mit ihnen wie zu guten Freunden. Er befahl ihnen nicht, sondern bat um einige Früchte und etwas zu trinken.
Zwei Männer stellten einen niedrigen runden Kupfertisch bereit, an dem der Großvater und sein Enkelsohn nebeneinander Platz nahmen. Während darauf die »Kleinigkeiten« serviert wurden, die der Sirilimkönig erbeten hatte, erzählte er vom Niedergang seines Volkes. Am Ende seines traurigen Berichtes sagte er: »Meine Söhne waren im Kampf gegen Magos’ Heer gefallen. Nur Vania, deine Mutter, lebte noch. Ich habe sie fortgeschickt, um sie vor dem Schicksal ihrer Brüder zu bewahren, aber auch, weil das Geschlecht der Sirilim erhalten bleiben musste, falls wir uns – wie es ja dann tatsächlich geschah – aus der Welt würden zurückziehen müssen. Gemeinsam mit Inimai verließ sie den Grünen Gürtel. Bald darauf habe ich mit den Auserwählten die Stadt und den Überrest der Schönen in dieses Refugium hinübergerettet. Allerdings gab ich die Hoffnung nie auf, dass Vania eines Tages zurückkehren würde.«
»Leider ist ihr das nicht möglich, weshalb du mit mir vorlieb nehmen musst«, erwiderte Ergil und erzählte in der gebotenen Kürze die Geschichte von sich und Twikus bis zu dem Punkt, an dem er sagte: »Wenn es mir daher nicht gelingt, ein Gegenmittel zu finden, dann wird das Gift der Gapas meine Mutter töten.«
Daraufhin wurde Baroq-abbirim sehr traurig. »Unsere Ginkgos sind schon seit fast zweihundertfünfzig Jahren unfruchtbar.«
Hätte Ergil nicht auf dem Boden gesessen, er wäre wohl zusammengesackt. Jazzar-fajims Worte kamen ihm in den Sinn: Allerdings kann ich mich nicht erinnern, an ihnen jemals Früchte gesehen zu haben. »Woher kommt dieses Aussterben der Ginkgos, Großvater? Sie scheinen ja im ganzen Herzland verschwunden zu sein.«
»Die Heiligen glauben, es hat mit dem Erwachen des Bösen zu tun.«
»Du meinst mit… Magos?«
»Ja. Er ist wie Melech-Arez: ein Entzweien Frieden setzt aber Einigkeit voraus. Nicht Eintönigkeit oder Gleichförmigkeit. Nur durch die Unterschiede wird die Welt ja farbig, nur durch die Verschiedenheit der Geschlechter können Sirilim, ebenso wie Menschen, Ginkgos und viele, viele andere Lebewesen überhaupt fortbestehen. Aber Magos hat anderes Leben immer nur in einer Funktion gesehen: Es sollte sich ihm unterordnen, im Denken, Reden und Handeln. Schon lange bevor wir in die Zwischenwelt geflohen sind, hatte sein dunkler Geist die Welt durchdrungen. Vermutlich sind deshalb auch fast alle Ginkgos von Susan ausgestorben. Sie symbolisieren seit alters die Weisheit und die Harmonie des vielfältigen Lebens. Der Goldfruchtbaum ist wie die Sirilim uralt, und obwohl ihm – so wie uns – kaum ein Gift schaden kann, hat ihn doch Magos’ Geist der Monotonie umgebracht.«
Ergil konnte die Erklärung seines Großvaters nur auf eine Weise deuten: Auch in Saphira gab es keine Ginkgos mehr. Er war maßlos enttäuscht und Verzweiflung machte sich in ihm breit. Welche Hoffnung gab es jetzt noch für seine Mutter? Freudlos sagte er: »Magos hat sich in eine schwarze Schneewolke verwandelt. Er ist aus Mirad geflohen. Die Rückkehr der Sirilim könnte die Welt vielleicht noch retten.«
Baroq-abbirim schüttelte traurig den Kopf. »Ich fürchte, mein Lieber, du hast das Wesen von Magos’ Fluch noch gar nicht begriffen. Die Welt erkaltet nicht, weil es bald keine Sirilim mehr gibt. Sie stirbt, weil sie glaubt, die Sirilim nicht mehr zu brauchen.«
Ergil erschauderte. Er entsann sich der hässlichen Anfeindungen, die seine Mutter hatte ertragen müssen. Sie war als Hexe verleumdet worden, als Ausgeburt des Bösen. Und ebenso hatten viele Menschen ihren Söhnen die Schuld für alle Unbill aufgeladen, so als könnten Hunger und Leid, Feindschaft und Lieblosigkeit aus der Welt geschafft werden, indem man das eigene Versagen den
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