Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
werfen.«
Ergil nahm sich zurück und stützte seinen Oheim, während dieser mit dem Geist den Mechanismus erkundete. Ab und zu murmelte Jazzar-fajim Worte in Sirilo. Plötzlich öffnete er wieder die Augen und sagte: »Das kann kein Zufall sein.«
»Was?«
»Das Schloss wurde ebenfalls am dritten Tag des zwölften Monats verriegelt und zwar im Jahr 5807 – kurz zuvor hatte mich Magos in seinen Eisdom eingesperrt. Ich denke, der Mechanismus kann nur an diesem Tag geöffnet werden.«
»Du meinst, wir müssen ihn wieder jünger machen?«
Jazzar-fajim nickte. »Um knapp einhundertvierundneunzig Jahre. Und dann fängst du mit dem dritten Riegel für den dritten Tag an, gehst über zum ersten, nimmst dir anschließend den zweiten vor, dann wieder den ersten und so weiter. Arbeite dich von oben rechts Zapfen für Zapfen nach unten links durch.«
»Wieso denn das?«
»Weil die Heiligen der Sirilim so ihre schriftlichen Aufzeichnungen führen.«
Gemeinsam gingen sie die Sache an. Das Schloss auf den Zeitpunkt zu verjüngen, an dem die Stadt verschwunden war, erwies sich als die leichtere Übung. Als er jedoch den ersten Kristall aus seiner Weltfalte ziehen wollte, kam er nicht weiter.
»Er rührt sich nicht.«
»Lass mich mal probieren.« Jazzar-fajims Sinn drang in den Mechanismus des Salimschlosses ein, erreichte aber ebenfalls nichts.
»Moment mal«, ging Ergil aufgeregt dazwischen. »In der Klippe unter der Sooderburg hatte Múria noch etwas anderes gesagt: ›Rückwärts abarbeiten, mit rechts beginnen.‹«
»Dann nichts wie los, König der zwei Völker.«
Ergil schnappte nach Luft. Warum hatte sein Oheim das gesagt, ausgerechnet in diesem Moment? Er ließ die Lider wieder sinken, um sich von dem Unwetter, das sich über dem Sternenspiegel zusammenbraute, nicht ablenken zu lassen.
Hierauf übernahm er wieder die Führung in der Erforschung des Schlosses. Er musste den Schlüssel 3.12.1612 von hinten nach vorne abarbeiten. Also begann er mit dem zweiten Riegel. So schnell es ging, tastete er sich an ihm entlang in eine benachbarte Falte der Welt und versetzte ihn ganz ins Hier des Jahres 5807. Anschließend zog er den zweiten Kristallstift aus seiner Verankerung. Einige Stäbe blieben unberührt, andere musste er mehrmals bewegen: Indem er sie im Gefüge aus Raum und Zeit um ein winziges Stück versetzte, glitten sie in ihre Nuten oder Aussparungen, bis die sieben Umstellungen vollzogen waren.
Und dann öffnete sich das Schloss.
Allerdings anders als erwartet. Die Tür im Rücken der beiden Durchdringer rührte sich nicht. Aber ein Zugang in die Zwischenwelt hatte sich aufgetan. Er war wie ein Schlüsselloch geformt. Eine Sturmbö riss an Ergils Kleidern, als wolle sie ihn zurückhalten. Wie aus weiter Ferne hörte er einen Donnerschlag. Dann schlüpfte sein Geist durch das Schloss.
Jazzar-fajim konnte die tiefe Versenkung seines Neffen spüren. Zuvor hatte Ergil den aufziehenden Sturm und die Donner bemerkt, jetzt saß er völlig ruhig auf der Treppe am Fuß des weißen Turmes. Die immer alarmierenderen Signale des drohenden Unwetters nahm er, wenn überhaupt, nur noch am äußersten Rand seines Bewusstseins wahr.
Wo nur die kleine Schwester blieb! Schekira hätte längst zurück sein müssen. Hoffentlich war mit der Mondwolke alles in Ordnung. Sie würden – im wahrsten Sinne des Wortes – mit einem Blitzstart vor dem Regen fliehen müssen…
Der Sirilo erschrak. Schnell sammelte er wieder seine Konzentration, weil Ergil ihm unvermittelt große Mengen an Kraft entzog, so als wolle er ein Hindernis überqueren und verlange von seinem Oheim, ihm mit einer Räuberleiter zu helfen. Irgendetwas passierte in der Zwischenwelt.
Jazzar-fajim wollte die Rechte seines Neffen fester umfassen, aber plötzlich verschwand sie aus seiner Hand. Entgeistert riss der Sirilo die Augen auf und starrte auf die Stelle der Treppe, wo Ergil eben noch gesessen hatte.
Der König war fort. Als hätte er sich in Luft aufgelöst.
16
DIE GLÄNZENDE
Plötzlich war alles da. Ergils Geist wanderte durch die Säle und Kammern des Gebäudes, strich über die Bücher und Schriftrollen in der großen Bibliothek hinweg, schraubte sich auf der Wendeltreppe in die luftigen Höhen des Turmes der Heiligen empor. Und gelangte schließlich ins Freie. Der Anblick verschlug ihm, sofern man das von einem wandernden Bewusstsein sagen konnte, den Atem.
Die Stadt Saphira schwebte scheinbar auf einer riesigen
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