Mirage: Roman (German Edition)

wissentlich in hundert Stockwerke tiefe Leere zu treten.
    Jetzt hatte er endlich eine Antwort. Die ersten Sekunden, nachdem er den SENDEN-Knopf gedrückt hatte, waren purer freier Fall, das MZF schien jäh abwärts statt vorwärts zu rollen. Jetzt, dachte Samir, während er darauf wartete, auf dem Boden aufzuschlagen. Jetzt … Jetzt … Jetzt …
    Um das sechste oder siebte Jetzt geriet er in Panik und versuchte, dem Fahrer zu sagen, dass er stehen bleiben sollte, aber der tonlose Luftzug, der seiner zugeschnürten Kehle entwich, konnte nicht mal für ein Flüstern durchgehen. Jetzt … Jetzt … Der Geländewagen stieß auf eine Unebenheit im Straßenbelag, und Samir riss wieder den Mund auf und schrie: »STOPP!«, aber keiner hörte ihn, weil die Bombe losgegangen war.
    Die Explosion ereignete sich knapp unterhalb des Kamms, und ihre Wucht ging hauptsächlich senkrecht nach oben, aber die Druckwelle, die sich den Hang hinunter und über die Straße wälzte, war immer noch stark genug, um die MZF in ihren Aufhängungen tanzen zu lassen. Die exponierten Schützen bekamen das meiste ab und fühlten sich durch die Bank so, als hätte man ihnen eins mit einer Backsteinmauer übergebraten. Dann hagelte es Schutt: Erdklumpen und Schlamm, Steine, Baumäste. Der Schütze des ungepanzerten MZF wurde von einem Dachbalken des Unterstands, der an seinem Stahlhelm abprallte, besinnungslos geschlagen.
    »Stopp!«, schrie Samir noch einmal, während Trümmer weiter auf die Wagen einprasselten. »Stopp!«
    »Fahr! Fahr!«, befahl Leutnant Fahd seinem Fahrer. Das war Regel Nummer eins für die Rote Zone. Man bleibt nicht mitten in einem Hinterhalt stehen. Aber der zersplitterte Stamm einer Douglastanne war quer auf die Schnauze des Wagens gefallen, worauf der Fahrer den Rückwärtsgang eingelegt und den Motor abgewürgt hatte. Während der Fahrer mit dem Anlasser kämpfte, öffnete der Leutnant ungeduldig seine Tür und stieg aus, um den Weihnachtsbaum zu verrücken.
    Die Luft hatte sich mittlerweile so weit geklärt, dass der Explosionskrater oben im Hang zu sehen war. Zu aller Verblüffung bewegten sich Männer am Kraterrand und im Durcheinander begrünter Holztrümmer ringsum. Da sie flach auf dem Bauch lagen, hatten die meisten Milizionäre die Explosion überlebt, auch wenn diejenigen, die dem Unterstand am nächsten gewesen waren, aus Ohren und Nasen bluteten und wie Betrunkene torkelten.
    Die MG-Schützen, ihrerseits mehr als nur leicht benommen, glotzten die ersten paar Sekunden lang nur dumm in die Landschaft. Dann bemerkte Salim das Geklimper der Gewehrgeschosse an der Panzerung seiner Kanzel, und seine eingedrillten Reaktionen setzten ein. »Chris-TEN ! «, schrie er und brachte sein MG in Feuerstellung. Die Schützen des Führungs- und des Schluss-MZF folgten seinem Beispiel.
    Das Maschinengewehr Barad Kaliber .50 hatte eine effektive Reichweite von zwei Kilometern und konnte selbst leicht gepanzerte Ziele zerstören. Aus geringer Entfernung auf ungepanzerte Menschen eingesetzt, war es mörderisch, wobei es die Ziele nicht sosehr erschoss als vielmehr sprengte. Bei drei solchen Waffen, die auf alles feuerten, was sichauf dem Kamm bewegte, nahm die Zahl der überlebenden Milizionäre rapide ab.
    Einer der letzten noch stehenden Minutemen versuchte, einhändig eine Panzerfaust auszurichten, da sein rechter Arm von Explosionstrümmern zerschmettert worden war. Ein Maschinengewehr halbierte ihn in Hüfthöhe, und während sein Oberkörper nach hinten wegkippte, krümmte sich sein Abzugsfinger. Der Gefechtskopf schoss steil in die Höhe, beschrieb über der Straße einen Parabelbogen und landete im jenseitigen Wald, wo er explodierte, ohne nennenswerten Schaden anzurichten.
    Mustafa war aus dem Wagen ausgestiegen, um Leutnant Fahd mit dem Baum zu helfen. Als der Leutnant sah, dass Mustafa seinen Helm im Fahrzeug gelassen hatte, wurde er fuchsteufelswild. »Idiot!«, schrie er. »Wollen Sie sich einen Kopfsch…«
    Dennng! Der Kopf des Leutnants schlenzte zur Seite, und seine Augen rollten einwärts. Mustafa fing ihn im Fallen auf. Eine halbe Sekunde später nahm der Schütze des vordersten MZF den Heckenschützen ins Visier und putzte ihn weg. Der Fahrer, der den Motor wieder anbekommen hatte, rief Mustafa zu: »Einsteigen! Einsteigen!«
    Ein Stückchen weiter die Straße entlang, gerade hinter der Kurve versteckt, lauschten die Mitglieder des Überfallteams in Reserve den Explosionen und Schüssen und betrachteten die